Predigt zum 75jährigen Jubiläum des Diakonievereins Georgensgmünd

von Gerhard Wendler


Diese Predigt wurde anlässlich des 75. Jubiläums des Diakonievereins Georgensgmünd am 23.01.2005 in Georgensgmünd gehalten. Dies ist eine Nachschrift nach Stichpunkt-Notizen.

Predigttext: 1. Mose 18, Verse 1-8 und 16

Und der HERR erschien Abraham im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war. Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Und als er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seines Zeltes und neigte sich zur Erde und sprach: “Herr, hab ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber. Man soll euch ein wenig Wasser bringen, eure Füße zu waschen, und laßt euch nieder unter dem Baum. Und ich will euch einen Bissen Brot bringen, dass ihr euer Herz labet; danach mögt ihr weiterziehen. Denn darum seid ihr bei eurem Knecht vorübergekommen.” Sie sprachen: “Tu, wie du gesagt hast.” Abraham eilte in das Zelt zu Sarah und sprach: “Eile und menge drei Maß feinstes Mehl, knete und backe Kuchen.” Er aber lief zu den Rindern und holte ein zartes gutes Kalb und gab's dem Knechte; der eilte und bereitete es zu. Und er trug Butter und Milch auf und von dem Kalbe, das er zubereitet hatte, und setzte es ihnen vor und blieb stehen vor ihnen unter dem Baum, und sie aßen.

Vers 16: Da brachen die Männer auf und wandten sich nach Sodom, und Abraham ging mit ihnen, um sie zu geleiten.

Predigt

Liebe Gemeinde,
es geht um Abraham, nicht um Sarah. Es geht nicht um jene Verheißung, die in den Versen ausgesprochen wird, die ich bewußt nicht gelesen habe, dass Abraham und Sarah ein Kind bekommen würden, und Sarah lachte, denn sie war weit jenseits der Wechseljahre. Jene Verheißung des Isaaks, wegen der wir heute noch singen: Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren, … Alles, was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen.

Es geht um den Abraham und deswegen lese ich noch einmal die Stellen, auf die es mir in unserem heutigen Zusammenhang besonders ankommt: Als Abraham seine Augen aufhob und sah, lief er ihnen entgegen, neigte sich zur Erde, sagte “laßt euch nieder , ich will euch etwas bringen”, er eilte zu Sarah, er lief zu den Rindern, er trug Butter und Milch, setzte es ihnen vor und blieb stehen vor ihnen während sie aßen, am Ende ging er mit ihnen, um sie zu geleiten.

Das ist keine Geschichte orientalischer Gastfreundschaft, so schön war es halt, bevor der Massentourismus die Sitten verdorben hat. Das ist eine diakonische Geschichte. Im Laufe der Zeit ist sie mir zu so etwas wie einer Urgeschichte der Diakonie geworden, nicht nur weil sie ziemlich am Anfang der Bibel steht.

Was macht Abraham?

Alles in allem: Abraham lebt ein diakonisches Grundsatzprogramm, das aktuell ist und bleibt, vielleicht aktueller ist denn je: so diakonisch sollen wir auch leben. Sollen unsere Augen aufmachen und hingehen: bei Hänseleien und Schlägereien im Schulhof, beim Mobbing am Arbeitsplatz. Wir sollen uns überlegen, was der andere braucht: die überlastete Mutter, der Nachbar nach 100 erfolglosen Bewerbungen.

Diakonie ist zunächst eine Frage an jeden einzelnen. der Auftrag, so zu leben und Kinder so zu erziehen. Deshalb singen wir als Gemeinde: “Herr gib Du uns Augen, die den Nächsten sehn … Füße die nicht zögern, wenn die Hilfe eilt.” Die Kraft dazu haben wir durch Geist Gottes bei der Taufe bekommen.

Eine zweite Ebene kommt dann dazu: Auch beim Helfen gilt: “Gemeinsam sind wir stärker”. Menschen schließen sich zusammen, gründen einen Verein, stellen Mitarbeiter an, nutzen gesetzliche Möglichkeiten. Der Auftrag konkretisiert sich unter den aktuellen Bedingungen in unserer Zeit in unserem Land mit unseren finanziellen Möglichkeiten; Das war 1929 so während der Weltwirtschaftskrise, 1945, als die Flüchtlinge ankamen, Anfang der Sechziger Jahre als mit dem Bundessozialhilfegesetz und dem Jugendwohlfahrtsgesetz neue gesetzliche Regelungen kamen, die neue Möglichkeiten eröffneten. Das war 1990 bei der Wiedervereinigung der Fall oder 1995 mit der Begründung der Pflegekasse. Aber damit ist es nicht getan: staatliche Gesetze zu erfüllen ist noch keine Diakonie.

Weil wir in diesen Tagen alle zurückschauen, will auch ich einen persönlichen Rückblick wagen: Es war im Herbst 1977, ich hatte seit Sommer eine Stelle im Diakonischen Werk für das Dekanat Schwabach mit dem Auftrag die ambulante Krankenpflege im Dekanat auszubauen. Die bestand damals aus 4 Diakonissen und einer Altenpflegerin. Die Diakonissen in Schwabach und Katzwang hatten je ein Fahrrad, die Diakonisse in Roth hatte ein Auto, die Altenpflegerin in Roth hatte ein Mofa und in Georgensgmünd gab es Schwester Babette mit ihrem Auto. In diesem Zusammenhang lernte ich den damaligen Vikar Volkmar Botsch kennen, der mich einlud, bei einem Wochengottesdienst in der Opferwoche die Ansprache zu halten. Für mich war das eine doppelte Premiere: es war das erste Mal, dass ich als hauptamtlicher Mitarbeiter der Diakonie in einem Gottesdienst mitwirkte und es war das erste Mal, dass ich in diese Kirche kam. Es war der Beginn einer Beziehung zu dieser Kirche, die nun schon mehr als die Hälfte meines bisherigen Lebens umfasst. Weil ich damals zu aufgeregt war, um frei zu sprechen, hat sich das Manuskript dieser Ansprache erhalten und ich habe es während der Vorbereitungen zu dieser Predigt wieder gefunden. Ich knüpfe an an dem Satz von eben: “staatliche Gesetze zu erfüllen ist noch keine Diakonie.” (12.10.1977) Aber die Tatsache, dass Staat und Versicherungen diese Aufgaben übernommen haben, die früher von einzelnen Familien getragen wurden, darf uns nicht zu dem Trugschluss verführen, dass wir als Christen die Hände in den Schoß legen dürfen und mit unseren Geldern, die wir als Steuer- und Beitragszahler aufbringen, genug getan haben. Wir die Gemeinde Christi, müssen die Not sehen, für die keine Versicherung aufkommt, für deren Bewältigung kein Gesetz anwendbar ist – außer dem Gesetz Christi. Wir müssen sehen, dass hinter einer hygienisch einwandfreien Altenbetreuung in Heimen Einsamkeit stecken kann, dass in den Krankenzimmern Sorgen um Familien und Kinder nisten. Wir müssen auch beachten, dass sich neben den Sorgen um die Zukunft Zweifel einschleichen, dass die Verbitterung wächst, der Hader mit dem Schicksal auftaucht. Diese Nöte hinter der Not sind es, die mich beunruhigen. Hier sind wir als Christen gefordert und vor allen Dingen, hier können nur wir als Christen helfen.

Auch im organisierten Bereich, der zweiten Ebene sollen wir unsere persönliche Diakonie leben. Das gilt für uns Hauptamtliche, das gilt für die Ehrenamtlichen im Dienst und deshalb habe ich vorhin gesagt, dass wir unsere Kinder in diesem Geist erziehen sollen. Dass eine Krankenschwester mit einem Kranken oder Sterbenden betet, lernt sie nicht in der Berufsausbildung oder in der Weiterbildung. Dort lernt sie, mit einem fremden Menschen zu beten und welche Hilfen es gibt, in solchen Extremsituationen zu beten. Aber zu lernen, dass man betet, dass ein Gebet Hilfe und Trost, Entlastung und Beistand ist, das lernt man nicht im Beruf, diese Grundhaltung wird in der Familie gelegt. Wenn wir wollen, dass auch in zwanzig Jahren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakonie mit den Menschen beten, dann müssen wir heute die Kinder so erziehen.

Der Vollzug der Gesetze durch die diakonischen Einrichtungen zeigt dann auch nicht nur die Chancen sondern auch die Mängel und Fehlentwicklungen der Gesetze. Ich habe in den letzten Jahren den Eindruck, dass sich diese Mängel vermehrt zeigen: der diakonische Blick auf den Nächsten fehlt, Abraham hat ausgedient. So entwickelt sich von selbst eine dritte Ebene diakonischer Aufgaben, öffentlich für Arme und Schwache einzutreten und Politiker und Verwaltungen darauf hinzuweisen, wo es Gerechtigkeitslücken gibt. Und ab und zu muss man das auch einmal laut sagen, dass es Gerechtigkeitslücken in unserem Lande gibt. Es ist nicht gerecht, wenn sich die Parteien einen Wettbewerb leisten, wer den niedrigsten Spitzensteuersatz bietet und seit 1. April 1995 die Beträge, die die Pflegekasse zahlt, unverändert sind. Es ist nicht gerecht, was es an Regelungen gibt über den Nebenverdienst der Arbeitslosen, sodass sogar ein Bundesminister sagt, da müsse man nachbessern, und das Volk gleichzeitig lesen muss, welche Regelungen zum Nebenverdienst sich die Politiker für sich selber geben. Es ist nicht gerecht, wenn sich Bayern eine Protzvilla in Brüssel als Botschaft leistet und gleichzeitig gesagt wird, für Schulbücher ist zu wenig Geld da. Es ist nicht gerecht, wenn die Deutsche Bahn die Bahnhofsmissionen aus den Bahnhöfen ekeln will. Ich bin unserem Landesbischof Dr. Friedrich dankbar dafür, dass er der Bahn deshalb öffentlich auf die Füsse getreten ist. Es sind halt nicht nur die ICE- Reisenden mit ihrer Bahncard 1. Klasse, die einen Bahnhof brauchen, es gibt halt auch noch andere Menschen. Andererseits gilt auch, was unser bayrischer Diakonie-Präsident Markert selbstkritisch festgehalten hat, wir hätten im letzten Jahr mehr sagen müssen, welche Folgen die Arbeitslosengesetze haben werden, die jetzt in Kraft getreten sind, wir haben da etwas verschlafen. Ob es genutzt hätte, steht auf einem anderen Blatt.

Zahlenmässig sind in diesem Land noch Christen in der Mehrheit, die Meinungsführerschaft im Sozialbereich haben sie jedoch verloren, das zeigt ein einfacher Vergleich der ökumenischen Denkschrift von 1997: “Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit” mit den Sozialgesetzen, die zu Anfang dieses Jahres in Kraft getreten sind. Diese Denkschrift wurde viel gelobt, schnell vergessen und schließlich hartnäckig ignoriert.

Die drei Ebenen gehören zusammen: die persönliche Diakonie ist das Fundament, die organisierte Diakonie hilft, den Glauben gemeinsam Gestalt werden zu lassen, und die politische Diakonie hilft mit, auf die gesetzlichen Voraussetzungen Einfluss zu nehmen.

Alle drei haben einen gemeinsamen Rahmen, der auch bei Abraham zu spüren ist, auch wenn er in unserem Text nicht ausdrücklich erwähnt wird: (1. Mo 15, 6) “Abraham glaubte dem HERRN, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.” Es ist das Gottvertrauen, auf dem alles aufbaut. Die Häuser, die wir bauen, die Kindergärten und Pflegeheime, Wohnungen und Beratungsdienste und Büros - alles steht unter dem Wort aus Psalm 127 “Wenn der HERR nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen.” Im Vertrauen darauf haben unsere Mütter und Väter vor 75 Jahren unseren Verein gegründet, wir dürfen heute daran weiterbauen und gewiss sein: in jedem Schwachen dem in diesen Häusern und von unseren Häusern aus geholfen wird, begegnet uns Christus. So hat er es verheissen und unser Gott macht seine Verheissungen wahr.

Amen