Lesepredigt für das Amt für Gemeindedienst Nürnberg zum 01.05.2016

Predigttext: 1. Tim. 2, 1-6a


Was ist das Erste, was ein Kind vom Christentum erfährt? Wenn die religiöse Erziehung da beginnt, wo sie beginnen soll, nämlich in der Familie, dann wird es die Erfahrung sein, dass die Eltern mit ihm beten: bei Tisch und beim Abendsegen am Bett. „Vor allen Dingen“ muss einem Kind keine dogmatische Lehre vermittelt werden. Es muss keine Geschichten hören, das hat später Zeit. „Vor allen Dingen“ muss es bei den Eltern eine Grundhaltung erleben: ich kann mich vertrauensvoll an Gott wenden. Paul Gerhardt formuliert es so: Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein lässt Gott sich gar nichts nehmen: es muss erbeten sein (EG 361). Das Gebet soll das Kind durchs Leben begleiten. Das sind die wichtigsten Bewegungen in einem Christenleben: die Hände zum Gebet falten, die Nase in die Bibel stecken und dann die Hände zur Tat öffnen.

Gott antwortet dem Beter: „er weiß, was wir bedürfen, bevor wir ihn bitten.“ sagt uns Jesus und Matthäus überliefert es (Mt. 6,8). Gott kennt uns, er hört uns, das gilt umfassend für alle Menschen: es soll allen geholfen werden, ohne Ausnahme.

Das kann auch mal schwerfallen: Heute vor 130 Jahren, am 1. Mai 1886, kam es in Amerika zu Demonstrationen der Arbeiter. Sie wollten weniger als 12 Stunden arbeiten und dabei mehr als das Geld für ein einfaches Abendessen verdienen. In den folgenden Auseinandersetzungen kam es zu Verletzten und Toten, eine Bombe wurde geworfen, die Polizei erschoss mehrere Arbeiter. „Man tue vor allen Dingen Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen“ – das umfasst natürlich die Opfer, aber auch die Polizisten, die damals geschossen haben und den unbekannten Bombenwerfer. Vor 70 Jahren standen Männer in Deutschland vor Gericht, die unsägliches Leid über die Welt gebracht hatten. „Man tue vor allen Dingen Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen“ – da sind auch die mitgemeint, an deren Handeln wir keine Menschlichkeit oder Barmherzigkeit erkennen.

Es wird nicht billiger – Gottes Liebe ist größer als unsere Vernunft und Gefühle, und umfasst auch die Menschen, die wir ablehnen, verurteilen oder meiden. Mein Widerstreben, meine Ratlosigkeit über manche menschlichen Handlungen und meine Sprachlosigkeit darüber gehören auch ins Gebet.

Ein Sonderfall dieses Betens ist das Gebet für die Obrigkeit. Der Text scheint zunächst einmal alle Vorurteile zu bestätigen, die gegen Christentum und Religion angeführt werden: das ist Opium fürs Volk! Das ist ein Instrument der Herrschenden, die das Unrecht hier verharmlosen, weil für die Gerechtigkeit ja Zeit ist im Jenseits! Wir können bei diesem Text aber auch genauer hinschauen, so wie wir das bei jeder Schriftauslegung tun: Wir betrachten das Umfeld, in dem der Brief an Timotheus entstanden ist. Wenn diejenigen, die sich wissenschaftlich mit den Schriften der Bibel befassen, nicht ganz falsch liegen, gehört der Text in die Zeit des römischen Kaisers Domitian. Dieser Herrscher bestand auf der Anrede „dominus et deus [sprich de-us]“, übersetzt: „Herr und Gott“. Wer aber für den Kaiser betet, der betet ihn nicht an. Im Gegenteil, der sagt: auch die Obrigkeit hat Fürbitte nötig! Das ist eine ganze Menge Distanz zum Kaiserkult. Das erste Gebot steht quer zu den römischen Bräuchen. Das konnte auch gefährlich werden und da wird wohl jedem von uns der Wunsch nach einem ruhigem und stillem Leben verständlich.

Natürlich macht es auch einen Unterschied, ob der Gedanke, man solle für die Obrigkeit beten, aus der Mitte der Gemeinde kommt oder ob er von dieser Obrigkeit, also von oben her, angeordnet wird.

Unsere Obrigkeit heute ist anders: Bundespräsident Heinemann war zuvor lange Jahre Mitglied im Rat der EKD, Bundespräsident Gauck ist ordinierter Pfarrer. Manche Politiker sind Mitglieder unserer Synoden, Bundestagspräsident Lammert hat ein Buch herausgegeben mit Liedern und Texten zum Glaubensbekenntnis. Etliche Stadt- und Gemeinderäte sind gleichzeitig in der Kirchengemeinde engagiert. Die Christen sind nicht mehr eine kleine Gruppe, die am besten kein Aufsehen erregt, damit niemand sie verfolgt, weil sie den Kaiser nicht anbeten. Das Ziel heute kann nicht mehr sein, unauffällig in einer stillen Ecke zu leben. Die Denkschrift der EKD von 1985 „Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe“ beschreibt die Aufgabe des Staates so: er soll soll Recht schützen, Frieden wahren, Bösem wehren und Gutes fördern. Das ist zunächst unabhängig von der Regierungsform und wäre auch in einer Monarchie gültig. Wir sind aber aufgerufen, unser Land mit zu gestalten, denn wir leben in einer Demokratie. Jetzt kommt hinzu, dass „die politische Verantwortung im Sinne Luthers 'Beruf' aller Bürger [ist]“. Weil aber alle Menschen – Wähler, Nichtwähler und Gewählte – allemal Sünder sind und des Ruhms mangeln, bleibt es Aufgabe der Beter: Wir brauchen einen guten Staat, und wir sollten dafür beten. Martin Luther hat das mit bedacht, als er in der Auslegung zum Vaterunser bei der Bitte um das täglich Brot geschrieben hat: „Was heißt denn tägliches Brot? – Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, …, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, …, Friede

Sicher ist damit nicht umfassend und abschließend das Thema „Kirche und Staat“ bedacht, da müssen andere Bibelstellen mit zu Rate gezogen werden. Zu denken ist an den Brief des Propheten Jeremia an die Verschleppten in Babylon mit dem Satz Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum HERRN (Jer. 29,7). Eine andere Stelle ist die Formulierung Fürchtet Gott – ehrt den König im 1. Petrusbrief (2,17), die auch Eingang gefunden hat in die Barmer Theologische Erklärung von 1934. Dazu gehört sicher auch der Satz der Apostel vor dem Hohen Rat: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apg. 5,29) – Ein großes Thema, mehr als das Thema einer einzelnen Predigt!

Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Das ist die Grundfarbe unseres Predigttextes: Gott will umfassend wirken, der Schöpfer schließt keines seiner Geschöpfe aus, nicht uns, nicht die Flüchtlinge bei uns, nicht die Opfer von Naturkatastrophen, nicht die Opfer und nicht die Täter religiös oder politisch begründeter Attentate, weil: Christus Jesus, … sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung. Damit ist die Reihenfolge geklärt: Christus ist vorangegangen – wir können und sollen uns ein Beispiel an ihm nehmen: unser Leben so führen, dass wir seinem Namen Ehre machen, uns um seine Wahrheit bemühen. Diese Wahrheit finden wir auf drei Wegen: wenn wir uns bemühen, Gottes Wort zu kennen, das heißt erst einmal, Bibel zu lesen, wenn wir uns um christliche Gemeinschaft kümmern, in der Familie und der Gemeinde, vor allen Dingen aber, wenn wir Gottes Nähe suchen in Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen.

Amen.

Predigtschlussgebet

Herr unser Gott,
Deine Liebe reicht weit über unser Verstehen. Wir bitten Dich um Deinen Geist, Deine Größe und Wahrheit immer besser zu erkennen und immer besser in unserem Leben zu zeigen.