Predigt zur Einführung von 6 Gemeindeschwestern in der Diakoniestation Rednitzhembach

von Gerhard Wendler


Diese Predigt wurde anlässlich der Einführung von 6 neuen Gemeindeschwestern in der Diakoniestation Rednitzhembach am 6. oktober 1994 gehalten.

Predigtext: Jakobus 5, 13 -16

Leidet jemand unter Euch, der bete, ist jemand guten Muts, der singe Psalmen. Ist jemand unter Euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit öl in dem Namen des Herren. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen und der Herr wird ihn aufrichten und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander Eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Predigt

Liebe Gemeinde,
leidet jemand unter euch, der sehe zu, dass er einen Fernsehreporter trifft, denn nur das Leid auf dem Bildschirm zählt. Ist jemand guten Mutes, der lasse sich die Hitparade vorspielen. Ist jemand unter Euch krank, der stecke seine Krankenversicherungskarte ein und gehe zu einem Arzt, der einen Vertrag mit der Kassenärztlichen Vereinigung abgeschlossen hat. Dort lasse er sich nach dem Leistungskatalog des Sozialgesetzes behandeln. Ausserdem sorge er dafür, dass seine Versicherungsbeiträge pünktlich bezahlt werden, falls dies nicht der Arbeitgeber für ihn erledigt.

So oder ähnlich müsste heute ein Brief lauten, der den Tonfall des Jakobus aufnimmt. Wir merken, wie viel sich geändert hat. Allein schon der grosse Bereich der Sozialpolitik, dessen was Staat und Versichertengemeinschaften leisten. Aber wir haben auch einen weiteren Gewinn, nämlich das naturwissenschaftliche Weltbild und seine besten Ergebnisse im Bereich der Pharmazie und Medizin. Wer von uns verzichtet auf Antibiotika, wenn er Grippe hat? Wer ist nicht froh, wenn er nach einem Beinbruch unter ein Röntgengerät gelegt werden kann? Ich habe gerade in den Tagen der Vorbereitung auf diese Predigt am eigenen Leib erfahren, wie wichtig diese Dinge uns geworden sind. Ich bin auf einer Autofahrt nachts um viertel Elf zu einem Unfall gekommen. Zwischen Roth und Büchenbach war ein junger Mann an einen Baum gefahren und lag zunächst bewusstlos in seinem Fahrzeug. Ich war froh, dass es ein Telefon gibt und ich einen Notarzt rufen konnte, dass dieser Medikamente und Verbandsmaterial dabei hatte und der junge Mann ins Krankenhaus kam und ich nicht wie in der Geschichte vom barmherzigen Samariter selber für seine Unterkunft und Versorgung zahlen musste. Keiner von uns will das aufgeben. Dies müssen wir uns erst ganz deutlich vor Augen halten, wie wichtig uns diese Dinge geworden sind und wie sehr sie zu unserem Leben gehören.

Aber wir spüren auch, es ist nicht alles, was der kranke Mensch braucht, das, was wir an sozialstaatlichen Leistungen und an medizinischen Erkenntnissen ihm bieten können. Wir spüren dies etwa an der Architektur von Großkliniken. Wir spüren dies, wenn wir durch eine Arztpraxis hindurchgeschleust worden sind und stehen nun wieder auf der Strasse. 14 Tage haben wir uns auf den Besuch bei dem Arzt vorbereitet; und jetzt war er so schnell da und so schnell wieder weg und die Fragen, die wir auf dem Herzen hatten, sind uns gar nicht eingefallen, die kommen uns erst wieder im Nachhinein. Aber jetzt den Doktor fragen wäre völlig sinnlos, denn der ist schon beim fünften Patienten nach uns. Wir spüren es auch, dass all diese Leistungen nicht alles sind, was kranke Menschen brauchen, wenn wir mitbekommen, wie etwa in einem Krankenhaus davon gesprochen wird, der Beinbruch auf Zimmer 11 brauche noch dies oder das, wie der Mensch auf seine Krankheit reduziert wird. Was Sozialpolitik und Medizinbetrieb leisten können ist nicht alles, was der Kranke braucht. Jakobus zeigt uns, wo biblische Zeiten das Defizit der Krankheit gesehen haben und vielleicht können wir von Jakobus lernen.

Es ist die Gemeinschaft mit Gott und es ist die Nähe der Menschen, die Jakobus in den Mittelpunkt stellt.

Wer leidet, der bete, der suche die Nähe Gottes, der suche das Gespräch mit Gott. Wenn Sie zuhause eine Bibel haben, in der Fussnoten vermerkt sind, dann werden Sie dort mit ziemlicher Sicherheit den Hinweis auf Psalm 50 finden: Gott spricht: “Rufe mich an in der Not, so will ich Dich erretten, so sollst Du mich preisen.” Wer krank ist, der rufe zu sich die Ältesten, da sind gemeint die Presbyter oder Kirchenvorsteher. Das erste, was mir bei diesem Satz auffällt ist, dass hier ein Kranker eine aktive Rolle einnehmen soll. Er soll nicht warten, bis einer darauf kommt, da fehlt doch jemand, da ist doch jemand krank; er soll aktiv um Gemeinschaft bitten, ja diese einfordern. Dies ist umso wichtiger in Zeiten von Anonymität und Datenschutz, anders als es zu Zeiten Jesu war. Damals ist automatisch aufgefallen, dass abends beim Dorfbrunnen einer fehlte, der sein Wasser nicht holte. Mit dem musste etwas los sein, nach dem musste man schauen. Diese Situation haben wir heute nicht mehr, weil wir wesentlich anonymer leben. Umso wichtiger ist es, dass der Kranke aktiv die Gemeinschaft fordert. Die Kranken sollen Gottes Nähe suchen und sie sollen die Nähe der Menschen suchen. Es klingt hier der alte biblische Spruch an “Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei” und er gilt auch hier. Umgekehrt gilt auch: die Ältesten sind zur Gemeinschaft verpflichtet. Es ist ihnen als feste Aufgabe beschrieben, sich um die Kranken zu bemühen. Wenige Wochen vor den Kirchenvorsteherwahlen ist vielleicht überlegenswert, ob dies auch ein Auswahlkriterium für die Kandidaten sein könnte.

Neben der Nähe und dem Gebet für die Kranken haben die Kirchenvorsteher eine zweite Aufgabe, sie sollen salben. Dieses ist zum einen eine Symbolhandlung. Könige wurden gesalbt, der Messiastitel bedeutet “der Gesalbte”. Wenn Jakobus die Kranken auch gesalbt haben will, will er ihnen dieselbe Stellung geben wie sie die Könige im alten Israel und Jesus in der Gemeinde hatten. Dieses ist eine zentrale programmatische Aussage: so wichtig wie der König für das Volk Israel war, so wichtig sollen die Kranken für die Gemeinde Jesu Christi sein. Zum Zweiten ist das Salben eine körperliche Berührung, es ist nicht “bloss reden”, es ist nichts, was man am Telefon erledigen kann oder mit einem Rundbrief. Nähe und Gemeinschaft zeigen sich hier wie nirgends sonst. Es ist ja immer wieder die Gemeinschaft, die biblisch gefordert wird: Auf den Schöpfungstext habe ich schon hingewiesen, es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Aber auch Mose musste nicht allein zum Pharao gehen, sondern er bekam den Aaron an seine Seite. Jesus schliesslich sendet seine Jünger zu zwei und zwei und er predigt: “Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.” Es ist immer wieder die Gemeinschaft, die gefordert wird.

Gott will Gemeinschaft, Gott will eine Gemeinde, die diese Nähe lebt. “Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst” heisst zunächst einmal auch, sei ihm so nahe wie Dir selbst. Auch die Ältesten sollen diese Gemeinschaft suchen und sie haben die Verheissung, dass daraus Hilfe kommen wird. Gott wird ihn aufrichten – an diesem Satz ist die Betonung wichtig: Gott bleibt der Handelnde, der Regierende. Wir haben kein Zaubermittel, wir haben das Gebet. Aber: des Gerechten Gebet vermag viel, es heisst aber auch: es vermag nicht alles, und das ist gut so. Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: “Gott erfüllt alle seine Verheissungen, aber er erfüllt nicht alle unsere Wünsche.” Wieviel das Gebet vermag und wieviel Gutes daraus wächst, hat ein Mann erfahren, der mit 52 Jahren aus seinem Beruf gerissen wurde. Er schreibt: “Ich bin krank geworden und ihr habt mich besucht. Mit behutsamen Händen und aufmerksamen Augen wart ihr um mein Krankenbett, wohl wissend um meine Lage, mehr wissend auch und dennoch hoffend und betend. Um die kranke Seele sich bemühend wie um die Leib. Ihr habt mir Trost gegeben durch eure Nähe. Ihr wart mit all euren Bemühungen, mit euren Gebeten wie eine Wagenburg um mich herum. Ich danke euch.” Nach medizinischen Erfolgskriterien war die Behandlung dieses Mannes ein glatter Misserfolg, denn 4 Monate später war er tot. Aber es ist zu spüren, wiviel Ertrag in diesem Erleben war und auch für die, die ihn besuchten.

Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht – das kann jeder tun. Das Pflegen bedarf besonderer Gaben und eines besonderen Wissens und das Heilen kann eh nur Gott allein. Aber besuchen und Nähe schenken, das ist ein Amt, das gehört der Gemeinde und nicht den Profis im Pflegedienst. Und so gesehen, liebe Gemeinde, sind diese 6 neuen Gemeindeschwestern, die heute im Gottesdienst in ihr Amt eingeführt werden, nicht Ihr gutes Gewissen, nach dem Motto “Die machen das schon, die haben das ja schliesslich gelernt, ich bin ja auch Mitglied im Diakonieverein und zahle dafür.” Sondern sie sind Ihr schlechtes Gewissen, weil sie jedes Mal, wenn Sie eine Gemeindeschwester in ihrem Auto sehen, durch ihre schiere Existenz danach gefragt werden: “Wo ist mein Platz in der Geschichte, die Jesus mit seinen Kranken haben will?”

Und Euch, liebe Schwestern möchte ich drei Dinge mit auf den Weg geben: Zunächst einmal, es ist der Auftrag der Gemeinde, und diese hat ihren Auftrag direkt von Christus selbst. Ihr werdet nicht von Ärzten, Vorgesetzten, Gremien oder einer Pflegeversicherung zu den Patienten geschickt, sondern es ist Christus selbst, der euch sendet. Zum zweiten, ihr sollt die fachliche Seite und die Begegnung von Christen in euren Besuchen zusammenbringen, erst das berechtigt euch dazu, ein Kronenkreuz auf eurer Brosche zu tragen. Und das Dritte: es wird Türen geben, hinter die zu gehen euch schwer fallen wird. Ihr werdet vor manchem Besuch Angst haben und ich erinnere mich selbst an manchen Besuch, auch hier in Rednitzhembach, vor dem ich Angst hatte und jedesmal, wenn ich die Haustür, die nur angelehnt war, aufmachte und “Hallo” rief, um die Patientin zu begrüssen, stockte mir ein bisschen das Herz und ich wartete ab, bis sie den Gruss erwiderte. “Gott sei Dank, sie lebt noch” habe ich dann jedesmal gedacht, Du bist es nicht, der sie tot findet, wenigstens heute nicht. Wenn ihr vor solchen Türen steht und Angst habt, was euch dahinter erwartet, so seid um eines gewiss: es gibt in ganz Rednitzhembach nicht eine einzige Tür, hinter der nicht Christus auf euch wartet. Er ist vor euch da, im Vertrauen auf ihn dürft ihr alle Türen aufmachen.

Aus unserem Predigttext hat die katholische Kirche das Sakrament der Krankensalbung entwickelt, das im Volksmund “letzte ölung” heisst. Ich denke 30 Jahre (1994) nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist es einmal Zeit, dass wir auch im evangelischen Bereich zur Kenntnis nehmen, dass dieses Sakrament reformiert wurde und eben nun ein Sakrament ist, das den Kranken zugute kommen soll. Jenseits aller Sakramentendogmatik müssen wir feststellen, dass die Krankensalbung ein biblischer Schatz ist, den wir auch in unserer evangelischen Kirche wieder gewinnen sollten. Wir haben schliesslich auch die Verheißung, die Jesus zum Abschied gesagt hat und die im Markusevangelium Kapitel 16 nachzulesen ist: “Ein Zeichen für die Jünger wird sein, auf Kranke werden sie die Hände legen, so wirds besser mit ihnen werden.” Wir müssen wegkommen von der Rolle des Pfarrers als Todesengel: “Ist es schon so schlimm mit dem Nachbarn, dass er den Pfarrer braucht?” Das ist Jakobus und Jesus auf den Kopf gestellt, das ist genau das, was beide nicht wollen.

Die Kranken sind der Gemeinde schuldig, dass sie sie rufen. Die Gemeinde der Getauften ist den Kranken schuldig, dass sie nicht allein gelassen werden. Das müssen die Kranken spüren, das wird dann ihre Umgebung spüren und daraus wird die missionarische Kraft der Kirche von allein wachsen.

An einer anderen Stelle sagt Jakobus einmal “Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein.” Jesus sagt: “Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan.” Wir sind also zu einem Christentum der Tat aufgerufen – jeden Tag. Man muss den Christen an ihren Taten am Werktag abspüren, dass sie am Sonntag eine besondere Botschaft gehört haben.

Die Welt wartet auf gute Beispiele, schlechte hat sie genug.

Jesus fragt am Ende einer sehr bekannten Geschichte: “Wer ist der Nächste gewesen, dem, der unter die Räuber gefallen ist?” Die Antwort lautet: “Der die Barmherzigkeit an ihm tat.” Jesus antwortet – und dem ist nichts hinzuzufügen: “Gehe hin und tue desgleichen.”

Amen