Rother Predigtreihe 2006 zu Luthers kleinem Katechismus

Teil 6: “Beichte” von Gerhard Wendler


Diese Predigt ist Teil der Predigtreihe 2006 der Evangelischen Kirchengemeinden Roth und Pfaffenhofen. Sie wurde am 03.09.2006 in Roth gehalten.

Biblisches Leitwort

Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. (Mt 11,28)

Predigt

Liebe Gemeinde,
Die Reformation begann im Beichtstuhl. Der 34 jährige Theologie- Professor Martin Luther, bekanntlich geweihter Priester seiner Kirche, beobachtete, dass die Menschen in der Beichte keine Reue und Buße mehr zeigten, sondern sich darauf beriefen, sie hätten ja einen Ablassbrief gekauft. Das veranlasste ihn zum Nachdenken, er hatte ja für sich erkannt, dass es für die Gewissheit des Heils keinen anderen Grund gibt als allein die Gnade in Jesus Christus. So entstanden Sätze wie

Martin Luther hat die Beichte geschätzt und zeitweise täglich gebeichtet. Wenn wir seinen Namen in unserer Kirche ehren und hochhalten, müssen wir uns damit auseinander setzen und prüfen: was ist noch gültig? Was sehen wir anders? (Wir sind keine Menschen des Mittelalters mehr.) Wie ist heute zu verstehen, was er damals so geschrieben hat:

“Die Beichte begreift zwei Stücke in sich: eins, dass man die Sünde bekenne, das andere dass man die (Absolution oder) Vergebung vom Beichtiger empfange als von Gott selbst und ja nicht daran zweifle, sondern fest glaube, die Sünden seien dadurch vergeben vor Gott im Himmel.”

Damit ergibt sich schon die Gliederung der Predigt: Sünde – Bekennen – Vergebung empfangen Schwierige Begriffe, denen man gern ausweicht, die zugegeben mehr Aufmerksamkeit erfordern als eine Fernsehshow. Andererseits zeigt die Erfahrung, dass wir, wenn wir sie liegen lassen und ignorieren, weder die Probleme lösen, die wir mit diesen Worten haben, noch die Probleme, die wir mit der Sache haben, die sie ausdrücken.

Sünde

Von allen Verhunzungen und Verdrehungen, die die deutsche Sprache in den letzten Jahren und Jahrzehnten hat erleiden müssen, ist es dem Wort “Sünde” vielleicht am schlimmsten ergangen. Einerseits wird sie verniedlicht: “Wir sind alle kleine Sünderlein – es war immer so” andererseits wird sie in manchen Zusammenhängen rein auf sexuelle Dinge eingeengt. So sehr, dass man manchmal über Sexualität nur noch als sündhaft reden hört und umgekehrt bei Sünde immer nur sexuelle Beispiele genannt werden. Beides ist falsch.

Fangen wir vorne an: Wir alle wissen, dass unser Zusammenleben Regeln braucht, wir wissen auch, dass Regeln gebrochen werden (das haben wir schon im Kindergarten und im Pausehof der Grundschule erfahren) und dass das nicht ohne Folgen bleiben kann, weil sich diese Regeln sonst auflösen und letzten Endes menschliches Zusammenleben unmöglich wird. Aber das ist nur die äußere Seite: das schlechte Benehmen, die Tricks, sich auf Kosten anderer zu bereichern, die Verstöße gegen staatliche Gesetze bis hin zu Mord und Völkermord , das bleibt alles im zwischenmenschlichen Bereich und wird auch dort verfolgt und bestraft: durch soziale Kontrolle und Gerichte bis hin zum Internationalen Gerichtshof.

Bei der Sünde geht es um etwas anderes: es geht um die gestörte Beziehung zu Gott, die sich dadurch äußert, dass die Beziehungen zu den Mitmenschen, Mitgeschöpfen und Gottes guter Schöpfung um uns herum, der Natur, gestört ist. Beides fällt oft zusammen, aber nicht immer.

Zwei Beispiele:
Was wir uns an Naturgebrauch, an Verwendung von Bodenschätzen, an klimaschädlichen Eingriffen in die natürlichen Abläufe leisten, verstößt (im Normalfall) gegen kein staatliches Gesetz. Angesichts sich häufender extremer Wetterlagen fragen sich aber immer mehr Menschen, ob mit unserem Umgang mit der Natur wirklich alles stimmt. Je länger, je schärfer stellt sich die Frage, ob es nicht eine Sünde ist, in dem Sinn, dass wir gegen Gottes Gebot verstoßen, die Erde zu bewahren, während wir die menschlichen Gesetze achten, so wie wir mit der Natur umgehen:

Ein zweites, bewusst ein Beispiel mit sexuellem Hintergrund:
Ehebruch war im alten Israel strafbar, sogar mit der Todesstrafe. Unser Staat bestraft Ehebruch nicht mehr, aber das heißt noch nicht, dass er für das menschliche Zusammenleben etwas Gutes wäre. Er stört die Beziehung zu den Mitmenschen und zeigt damit die Beziehungsstörung zu Gott an und bleibt deshalb das, was er im alten Israel auch schon war: Sünde, Abkehr von Gott.

Wir werden das heute mit dem Bruch des Eheversprechens begründen, mit dem Vertrauensmissbrauch und ähnlichen Überlegungen. Dem alten Israel war des fremd: Ehebruch war ein Verstoß gegen das Eigentumsrecht: “Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, [Sklave, Sklavin,] Rind, Esel noch alles was sein ist.” heißt es bei Mose. Es ging nicht um Vertrauen und Liebe, es ging um Besitz, auch am Körper der Frau und um die männliche Sicherheit, kein Kind eines anderen Mannes aufzuziehen und erben zu lassen. “Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Auto oder Laptop.” wäre ein Gebot, das diesen Geist widerspiegelt. Niemand unter uns, der diese Reihenfolge und Zusammenstellung allen Ernstes so sehen würde. Die staatlichen Gesetze haben sich geändert, die ethische Begründung hat sich geändert, es kommt heute auch niemand mehr auf die Idee, ein Ehebruch-Gebot allein für ein Geschlecht zu formulieren, die Tatsache ist geblieben: Ehebruch zeigt eine gestörte Beziehung zu Gott an, weil die Beziehungen zu den Mitmenschen gestört sind. Jesus erinnert uns daran, dass das nicht mit dem Geschlechtsverkehr anfängt, sondern aufhört: “Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen”. Es ist diese Störung der Beziehung, das Verheimlichen vor dem Partner oder der Partnerin, dieses sich verschließen und nicht mehr offen sein in der Beziehung, das alles ist das Abbild ist für die gestörte Beziehung zu Gott: Das Bild des in sich gekrümmten, auf sich bezogenen Menschen, der sich nicht öffnet für die Anrede Gottes.

Weil Sünde mehr und anderes ist als ein bloßer Regelverstoß, ist es nicht damit getan, nach der gelben Karte wieder brav zu sein, sondern es muss etwas geschehen, was die Beziehung zu Gott wieder ins Reine bringt. Damit sind wir beim Bekennen.

Bekennen

Die Märchenerzähler wissen, Rumpelstilzchen ist nur solange stark, bis der Name ausgesprochen ist, danach hat er nichts mehr zu melden. Unsere Beratungsdienste, auch in der Diakonie und die Psychotherapien unterschiedlichster Art wissen es auch schon lange: etwas auszusprechen, zu formulieren, was einen bedrückt, hilft. Etwas zu be-nennen, ihm einen Namen zu geben, bricht den Bann, der uns beherrscht, es ist ein befreiender Vorgang. Oder sagen wir besser, es kann ein befreiender Vorgang werden, wenn die Bedingungen drumherum stimmen. Günter Grass erlebt zur Zeit, dass ein Bekennen auch anders ausgehen kann, als er sich das wahrscheinlich gedacht hat. Vielleicht liegt es daran, dass er sich in den Rahmenbedingungen getäscht hat.

Was Märchenerzähler, Berater und Therapeuten wissen und schätzen, ist auch für das Gespräch mit Gott gut. Das Aussprechen des eigenen Versagens, der Schuld und auch des bloßen Schuldgefühls im persönlichen Gespräch zu Gott, im stillen Gebet, ist ein heimlicher Schatz der Christen, der sie reich macht gegenüber denen, die das nicht kennen.

Darüber hinaus ist aber auch das Gespräch vor Gott mit einem anderen Menschen ein besonderes Geschenk, das in dieser Zusammenstellung seine Besonderheiten hat; “es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei” hat gerade im Umgang mit dem eigenen Versagen und der Schuld seine besondere Bedeutung:

Dass Drüber-reden gut und hilfreich sein kann, neue Wege zum besseren Leben aufzeigen kann und neuen Mut erzeugen kann, wissen wir aus Beratung und Therapie. Was die Beichte besonders und kostbar macht, ist mit dem letzten Begriff umschrieben, der sie von allen anderen guten Gesprächen unterscheidet.

Die Vergebung erfahren

“Gott spricht dem Sünder, der glaubt, seine Gerechtigkeit in Jesus Christus zu. Wer dem Evangelium vertraut, ist um Christi willen gerechtfertigt vor Gott und von der Anklage des Gesetzes befreit. Er lebt in täglicher Umkehr (da ist wieder das Wort “Buße”) in der Gewissheit, dass Gott seine Herrschaft vollenden wird.” So bekennt es unsere Kirche gemeinsam mit anderen in der Erklärung von Leuenberg (Ziff. 10, 1973). Es geht also um Gerechtigkeit vor Gott und wie sie sich auf unser Leben auswirkt, es geht um Gottes Gericht.

“Gott ist ein Backofen voller Liebe” hat Martin Luther formuliert. Wenn wir über Sünde und Vergebung reden, müssen wir beides miteinander denken, auch wenn wir es hintereinander aussprechen: Gottes Liebe und Gottes Gericht. Das eine ist nicht ohne das andere.

Da spielt uns die Sprache nun wieder einen Streich, ähnlich wie mit der Verballhornung des Wortes Sünde. Gericht Gottes ist nichts, vor dem wir uns fürchten müssen. Wer auf Gott vertraut, muss keine Heiden-Angst haben. Wenn wir es doch tun, liegt es vielleicht daran, wie wir “Gericht” denken. Ich versuche, beides, Gericht und Liebe Gottes, zusammenzubringen in dem einen Satz: Gott richtet nicht hin, Gott richtet her.

Nicht nur der Henker hat eine Richtbank, auch der Schlosser: damit kontrolliert er, ob alles im richtigen Winkel zueinander steht und zusammenpasst. Es gibt nicht nur das Richtbeil des Henkers, es gibt auch das Richtblei des Maurers, mit dem geprüft wird, ob alles im Lot ist. Paulus hat es im Römerbrief angeschnitten: Ich bin nicht so wie Gott mich haben will, das Gute das ich will, das tue ich nicht, das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Gott will uns verändern: wie ein Teig im Backofen anders herauskommt als hinein so werden wir aus dem Gericht der Liebe Gottes kommen: verändert, gereinigt, wenn Sie so wollen, endlich genießbar. Jesus sagt “…ich will euch erquicken,” das habe ich nicht umsonst als Leitwort über diese Predigt gesetzt. Er sagt nicht, “ich will Euch zur Minna machen”. Das ist die Hoffnung: Der mit den Sündern seiner Zeit zu Tische saß, der wird auch mir Sünder, sei ich Hörer oder Redner, die Gemeinschaft nicht versagen.

Vergebung in der Beichte will das anzeigen, hier in meinem Leben mit meiner konkreten Schuld, vergeben durch ihn, aus dem Munde dessen, der die Beichte abnimmt. Vergebung löst das in sich gekrümmt-sein auf, führt in den aufrechten Gang, in die Beziehung zu dem Gott, der in die Freiheit führt. “Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen” (Jes. 42) steht als Wochenspruch über der kommenden Woche, das ist die gleiche Melodie.

Mit dieser Hoffnung ist es unverständlich, dass die Beichte ein Schattendasein in unserem geistlichen Leben führt. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir für die Beichte in unseren Kirchen keinen liturgischen Ort mehr haben: die Taufe hat den Taufstein, das Abendmahl hat den Speisealtar, die Trauer hat die Vortragekreuze, die Freude hat die Osterkerze. Die Beichte hat keinen Ort mehr, seit die Beichtstühle ausgebaut sind. Es kann keine Antwort sein, sie wieder einzubauen und schon Luther hat jeden Zwang um die Beichte abgelehnt, aber es bleibt doch als Aufgabe, das wieder zu entdecken und für unser Leben fruchtbar zu machen, im persönlichen geistlichen Leben wie im Leben der Gemeinde.

Der Gewinn der uns verheißen ist, ist hoch: König David hat es gesungen “Lobe den Herrn meine Seele, der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen.” (Ps 103 ). Er heilt alle Gebrechen und vergibt alle Sünden: So gibt Gott seinen Frieden, der größer ist als alle menschliche Vernunft und der unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus bewahren möge. So sei es, das heisst:

Amen.