“Christsein im Pluralismus” von Pfr. Dr. Karl Eberlein

Rezension von Gerhard Wendler


Das Buch “Christsein im Pluralismus. Ein Orientierungsversuch in der religiösen Gegenwart.” ist 2006 im LIT Verlag mit der ISBN 3-8258-9255-7 erschienen.

Der Rother Gemeindepfarrer Dr. Karl Eberlein hat einen “Orientierungsversuch” in Glaubensfragen “für den Hausgebrauch” vorgelegt. Er betrachtet die vielgestaltige religiöse und weltanschauliche Landschaft der Gegenwart und befragt die biblische Tradition darauf, welchen Beitrag zur Klarheit sie dazu liefern kann.

Der promovierte Alttestamentler schreibt so, dass man ihm das vorhergehende Nachdenken abspürt, daher gelingt es ihm auch bei schwierigen Gedankengängen den Leser bei der Stange zu halten. Seine Ausführungen sind nicht nur von seinem eigenen Lebenslauf und seiner weit gespannten Lektüre (vom Gilgamesch-Epos bis zu zum Wörterbuch der Esoterik) geprägt, sondern vor allem auch von seiner Arbeit als Gemeindepfarrer. Das zeichnet den Theologen Eberlein aus: seine Gedanken sind gemeindeverbunden, er kennt die Menschen, die Orientierung suchen aus seiner Seelsorge und seinen vielfältigen Gesprächen. Der Autor Eberlein achtet dieses Wissen und hält einen auch für Nichttheologen lesbaren Stil durch. Wer dem Wissenschaftler Eberlein nachspüren will, kann dies mit Hilfe eines wissenschaftlichen Apparats und eines ausführlichen Registers.

Dr. Karl Eberlein überblickt die Entwicklung der religiösen Landschaft, die sich zum weltanschaulichen Markt mit vielen Angeboten und der Möglichkeit, sich sein eigenes “spirituelles Menü” zusammen zu stellen ausgeformt hat. Zunächst beginnt er mit den örtlichen Erfahrungen der zwei Konfessionen (vergisst dabei auch die untergegangene jüdische Gemeinde in Roth nicht) und schaut dann über die christlichen Zäune auf das Zusammenleben mit Muslimen und auf Traditionen wie Feng Shui, Yoga, die Reinkarnationslehren und auch die heidnischen Götter der vorchristlichen Epoche.

Dem setzt er das biblische Angebot entgegen, von dem Gott zu erzählen, der in die Freiheit ruft. Dabei geht es ihm um eine Freiheit ohne Unverbindlichkeit und eine Geborgenheit ohne knechtende Abhängigkeit. Der Ort hierfür ist für ihn die Volkskirche. Wenn in ihr deutlich und überzeugend vom Gott der Freiheit geredet wird, hat dieses Modell für ihn Zukunft.

Den Wandel der eigenen Kirche hat der Mittfünfziger selbst erlebt und reflektiert ihn. Er blickt darüberhinaus zurück auf das hellenistische Umfeld der frühen Kirche und der Antike, die natürlich ihren Einfluss darauf hatten, wie die frühe Christenheit ihren Glauben formuliert und dargestellt hat. Der Pluralismus der Kirche ist in der weiteren Geschichte durchgängig erlebbar und wird aufgezeigt. An dieser Stelle verzichtet er leider auf einen Schritt zurück in die biblischen Texte, in denen einiges über Pluralismus zu finden wäre, sowohl im alten Israel (mit seinen verschiedenen Bundestraditionen) als auch der jungen Kirche mit den verschieden geformten Evangelien und der gemeindlichen Vielfalt, die sich aus den Briefen des Neuen Testamtentes ergibt, wenn man die Bibel, wie der Autor es ansonsten auch tut, vom Buchstabenglauben befreit mit Blick auf die Entstehungsbedingungen liest und von ihrer Mitte her zu erfassen versucht.

Die Grundfrage des Verhältnisses zwischen den Religionen lassen sich in drei verschiedenen Modellen erfassen: exklusiv (wir sind im Besitz der Wahrheit, die anderen irren), inklusiv (es gibt eine mehr oder weniger grosse Nähe zur eigenen gefundenen Wahrheit; das römisch-katholische Modell: erst die eigene Konfession, dann die anderen Konfessionen mit feinen Unterschieden, danach die anderen monotheistischen Religionen und dann lange nichts, dann die anderen Religionen) oder das pluralistische Modell, in dem sich zumindest die grossen Weltreligionen als gleichwertig anerkennen. Das ist zu prüfen am christlichen Zeugnis, das Heil allein in Christus zu finden. Durch genaue Betrachtung der entsprechenden biblischen Stellen gelingt es ihm, herauszuarbeiten, dass der exklusive Anspruch Jesu sich nicht auf die Herrschaft bezieht, sondern auf “den Weg der grenzenlosen Liebe und Hingabe”. Somit wird sowohl ein Zusammenleben in der christlichen Ökumene möglich, als auch eine missionarische Grundhaltung der eigenen Religion, die sehr wohl auf Zwang und subtilen Druck verzichten kann, weil sie auf die Ausstrahlung des eigenen Glaubens vertraut.

Im von ihm so genannten “Herzstück des ganzen Buches” hört er konzentriert auf die Stimme der Freiheit als die Grundmelodie der biblischen Tradition. Die zentrale Befreiungserfahrung des Volkes Israel in Ägypten hat in der Geschichte immer wieder ihre Wirkungen gezeigt. Es geht dabei nicht nur um eine “Freiheit von…” des um sich selbst kreisenden Individuums, sondern um die göttliche Macht ausserhalb des Menschen, die befreiend auf ihn einwirkt und die dauernde Beziehung zu ihm. So versteht er Glauben nicht als ein Für-Wahr-Halten von Formeln und Texten, sondern als einen Akt des Vertrauens: Glauben heißt, der von Gott gewährten Gnade des Lebens trauen.

Dass dies im Leben nicht immer problemlos ist, weiß der Seelsorger und Prediger und so geht er auch dem Erleben der dunklen Seite Gottes nicht aus dem Weg und fragt nach der Ursache des Unheils. Das Bedenken schrecklicher Gewalt im Namen Gottes (oder auch Allahs) hat hier seinen Platz wie die Frage nach der ewigen Verdammnis. In diesem Zusammenhang sichtet und bewertet er auch spiritistische Berichte und Erfahrungen mit Nahtod-Erlebnissen.

Meiner Meinung nach hat das Buch aber seinen Höhepunkt im letzten Kapitel, in dem er dem “einen und dreifaltigen Gott” nachspürt. Er zeigt, dass diese Rede von Gott im Glaubensbekenntnis trotz aller historischen Distanz zur Sprache der Entstehungszeit nach wie vor aktuell ist, wenn sie in den Horizont des biblischen Freiheitsimpulses gestellt wird. Selten in langen Jahren als Zuhörer in Religionsunterricht, theologischen Vorträgen und Predigten habe ich die innere Wahrheit dieses Bildes so klar und verständlich gefunden wie auf diesen Seiten, die mit einem Lobpreis das ganze Buch abschliessen.