Diakonie in der Rother Neuzeit

von Gerhard Wendler


Ein Beitrag für die Festschrift zum 500-jährigen Jubiläum der Stadtkirche Roth im Jahre 2011. Alle Rechte beim Verfasser, Weitergabe nur mit ausdrücklicher Erlaubnis.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die diakonische Geschichte einer gut fränkisch-protestantischen Kirchengemeinde kann nicht ohne Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung der Stadt und des Landes geschrieben werden. Wenn der Beginn neuzeitlicher Diakonie in dieser Arbeit mit den Dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts angesetzt wird, dann hat das auch seine gesamtgesellschaftlichen Ursachen, die in diesem Umfeld durchaus europaweite Dimensionen haben. Davon zunächst im ersten Kapitel.

Anfänge sind oft mühsam und tastend, erst Recht in Zeiten von Umbruch und Neuorientierung, von Altem wie der Ständegesellschaft auf der einen und Neuem wie dem Industrieproletariat auf der anderen Seite. Auch die Anfänge in der Diakonie in Roth sind ein Spiegel ihrer Zeit, darauf sei der zweite Blick gerichtet.

Diakonie ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht ohne Diakonissen denkbar. Auch Roth hatte seine Zeit, in der die Haube der Gemeindeschwester zum Stadtbild gehörte. Mit dem “Feierabend”, wie sie ihren Ruhestand zu nennen pflegen, der letzten Diakonisse endete 2006 unwiederbringlich eine ära, deshalb ist es gerechtfertigt, an diesem Tag eine Zäsur anzusetzen, auch wenn die Abschiede der Diakonissen aus den verschiedenen Arbeitsbereichen sich über einen Zeitraum von 18 Jahren hinzogen. Diese Zeit ist die wichtigste der gemeindlichen Diakonie in Roth und wird deshalb den größten Teil der Arbeit füllen, auch wenn Unterabschnitte und kürzere Epochen darin festzustellen sind.

Mit neuen, wiederum am zeitgenössischen orientierten Formen der beruflichen Mitarbeit, mit der Eingliederung der diakonischen Tätigkeiten in gesetzlich normierte Ansprüche und dem Anwenden der Instrumentarien moderner Unternehmens- und Mitarbeiterführung beginnt, nicht abrupt aber deutlich sichtbar, eine weitere ära, vielleicht auch nur eine Episode der Geschichte der Kirche Jesu Christi mit ihren Kranken und Schwachen. Davon zum Schluss.

Diese Arbeit bemüht sich um Genauigkeit und Seriosität, ohne wissenschaftliches Zitieren einhalten zu wollen. Manches wird erwähnt, dessen Quelle nur die persönliche Erinnerung aus 34 Jahren diakonischem Dienst in Roth und Umgebung sein kann, anderes stammt aus dem Hören von Zeitzeugen, die mittlerweile verstorben sind. Dank sei einer Reihe von Autoren gesagt, die ich nicht alle ausdrücklich zitieren kann, weil ich auf den Fußnotenapparat verzichte. Die Rektoren Miederer in Neuendettelsau und Dr. Neukamm, ehemals Rummelsberg haben viel geschrieben und vorgetragen, was ich aufgenommen habe. Dr. Hans Roser und Diakon Hans Meister haben für die Rother evangelischen Aspekte einiges zusammengetragen, Albert Rösch hat für das 100-jährige katholische Pfarreijubiläum viel gesammelt, von dem auch ich profitiere. Schwester Monika Kaut hat nicht nur aus ihrer Dienstzeit Artikel und Fotos aufbewahrt, auch manchen Schatz aus der Vergangenheit behütet, zum Beispiel eine handgeschriebene Stationschronik von 1925 bis 1968. Ergänzende Hinweise gab S. Margot Desenick aus ihrer Erinnerung. Die Sichtung der Archivbestände bei der Landeskirche und der Diakonissen-Jahresberichte in Neuendettelsau war aufschlussreich. In langen Jahren sammelt sich manches im Schrank, das jetzt wieder wertvoll wurde. Der Leser nehme dem Autor seine Ernsthaftigkeit für die vorliegende Aufgabe ab, auch seine Leidenschaft für die Sache der Diakonie.

Geschichtlicher Rahmen

Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und die Jahrzehnte bis zur Reichsgründung 1871 brachten europaweit Umwälzungen, die bis ins letzte Dorf zu spüren waren. Die napoleonischen Kriege und die ihnen folgenden staatlichen und gesellschaftlichen Veränderungen können in ihrem Ausmaß für die Zeitgenossen von uns Heutigen nicht unterschätzt werden, vielleicht von den ehemaligen DDR-Bürgern mit ihren Erfahrungen verglichen werden.

Im sozialen Bereich stellen sich durch die Veränderungen im Wirtschaftsprozess genauso neue Fragen wie durch die Kriegsfolgen: Der gebürtige Danziger Johannes Daniel Falk, mittlerweile in Mitteldeuschland im staatlichen Dienst tätig, verliert durch die Seuchen, die die Soldaten vor und nach der Völkerschlacht von Leipzig mit sich bringen, nicht nur 4 eigene Kinder, er wird auch auf das Leid der kriegswaisen Buben gestoßen. Er gründet eine “Gesellschaft der Freunde in der Noth” und betreibt ein Waisenhaus. Essen, Kleidung, ein Dach über dem Kopf und eine Ausbildung, dazu geistlichen Beistand: seine Konzeption beinhaltet nicht nur ein bis heute gültiges Arbeitsprogramm diakonischer Jugendhilfe, sie zeigt auch auf, dass Diakonie in der Neuzeit von vornherein einen die gesamte Persönlichkeit umfassenden Ansatz hatte. Als 1833 von Johann Hinrich Wichern das “Rauhe Haus” in Hamburg eröffnet wurde, baute er auf der Arbeit des 1826 verstorbenen Falk auf.

Ein Zeitgenosse Wicherns war der gleichaltrige Wilhelm Löhe, der 1837 von seinen Kirchenoberen nach Neuendettelsau in die fränkische Provinz abgeschoben worden war. Sie waren nicht immer bequem, unsere Gründungsväter. Mit seinem Impuls 1854 eine Schwesternschaft zu gründen, zielte er in zwei Richtungen: er wollte geschultes Personal für die kranken Menschen in den Gemeinden bereitstellen und er wollte den Frauen dazu einen Status verschaffen: sie kamen unter die Haube, ebenso würdig wie die einer Ehefrau. Sie erhielten so eine gesellschaftlich hoch angesehene Alternative, die ihnen das übliche Berufsleben noch nicht anbot. Mancher Frau blieb als Diakonisse das Schicksal einer ungeliebten Hilfskraft auf dem Bauernhof des alleinerbenden großen Bruders erspart. Anfänge sind tastend, nicht immer ist die erste Konzeption die, die bleibt: Löhe hatte an Schwestern für die Gemeinden, nicht an eine Schwesternschaft gedacht. Aber der Wunsch der Frauen nach Gemeinschaft über die Zeit der Ausbildung hinaus und die notwendige Verbundenheit untereinander, wenn sie in derselben Arbeit unter denselben Bedingungen stehen, war stärker. So bildete sich in Neuendettelsau und anderswo (etwa in Gunzenhausen auf der Hensoltshöhe) das Phänomen der Mutterhausdiakonie, also Schwesternschaften, die den Diakonissen geistliche und tatsächliche Heimat wurden, sie in den Einsatz sandten und abberiefen und im Alter und bei Gebrechlichkeit für sie sorgten.

Damit war für Jahrzehnte eine Form der Arbeit gefunden, die sich mehrfach ausdifferenzierte: Die Mutterhäuser unterhielten bald schon eigene Einrichtungen in Form von Heimen und Krankenhäusern, und sie entsandten auch in nichtkirchliche Häuser mit ihren Schwestern, wie auch die jetzige Kreisklinik Roth. Das Ur- und Leitbild der Diakonisse aber wurde die Gemeindeschwester. Generationen lang war sie eine Konstante im Leben der Kirchengemeinden und im Bild der Städte und Dörfer. Immer weithin erkennbar in Tracht und mit Haube, war sie ein weit deutlicheres kirchliches Symbol im Alltag als der Herr Pfarrer in seinem unauffälligem Lutherrock. Als Frau, oft aus kleinen Verhältnissen stammend, noch dazu erfahren im Umgang mit Schwachheit, Krankheit und Todesnähe, war sie manchem “einfachen Gemeindeglied” wohl auch der bevorzugtere Ansprechpartner als der studierte Theologe in seinem Amtsgebäude.

Wie überhaupt die Kirche in Form ihrer Leitung in den ersten Jahrzehnten, praktisch bis zum Ende des 1. Weltkriegs in der Diakoniegeschichte kein Ruhmesblatt verdient. Weder gingen die Anstösse für die Arbeit mit den neu verarmten Gruppen von den Kirchenleitungen aus noch gab die wissenschaftliche Theologie Anregungen. Es waren einzelne, die sich von der Not anrühren ließen und in Christi Namen dann halt außerhalb der im landeskirchlichen Regiment gefangenen Kirchenstrukturen Hilfe brachten und Not linderten. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildete die bayrische Kirchenleitung, die im Jahre 1849 die Innere Mission eine “hochwichtige Sache” nannte. Da mag der bayrische König wenigstens atmosphärisch mitgewirkt haben, denn dieser, Maximilian II, war durchaus offen für die damals so genannte “soziale Frage”: er richtete ein öffentliches Preisausschreiben aus, in dem Ideen gesammelt wurden, wie der materiellen Not der unteren Klassen entgegengewirkt werden kann, sogar Pensions- und Krankenkassen waren im Gespräch, rund 25 Jahre vor den Bismarckchen Gesetzen. Er liess sich von Wichern und Fliedner informieren und inspirieren. Da die Bürokratie mauerte, ging er denselben Weg wie die engagierten Kirchenmänner: er rief zur Gründung von freien Vereinigungen auf, “Sankt-Johannis-Vereine” nannte er sie. Ein Jahr später waren es 541 Zweigvereine mit 60000 Mitgliedern.

Im Laufe der Zeit hat dann auch der Staat seine neuen Aufgaben begriffen: die Bismarcksche Sozialversicherung markierte eine wichtige Wende. Jahrzehnte später kommt es zur Berührung der häuslichen Krankenpflege in den Diakoniestationen mit dem Leistungskatalog der Krankenkassen, noch später der Pflegekassen. Auch die Entwicklung eines neuzeitlichen Systems der Armenunterstützung setzte sich fort: Die Almosen für die Gemeindearmen mit teilweisen Sachleistungen und mancher Diskriminierung weichen Schritt für Schritt Ansprüchen der bürgerlichen Individuen gegenüber dem Staat. Die Regelsätze für den Lebensunterhalt wurden erfunden und fanden über Reichsgrundsätze in der Weimarer Zeit und das Bundessozialhilfegesetz 1961 ihren Weg in die neuzeitliche Gesetzgebung der Sozialgesetzbücher II (“Hartz IV”) und XII. Damit, so dachte man, sei die Zeit der Almosen eigentlich vorbei, bis eine erschreckte Öffentlichkeit feststellen musste, dass sie ohne Armenspeisung in neuer Form, jetzt schick “Tafel” genannt, nicht auskommt, weil in neoliberalem Umfeld die Sensibilität für Armut abgewürgt wird.

Auf diakonischer Seite wird schließlich auch die Notwendigkeit, politisch aktiv zu werden und sich zugunsten der anvertrauten Menschen und der Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen öffentlich zu Wort zu melden, erkannt und angepackt: Der Zusammenschluss zum späteren Diakonischen Werk Bayern 1886 markiert die Erkenntnis, dass diakonisches Handeln öffentlich und innerkirchlich eine schlagkräftige Vertretung der eigenen Interessen braucht. Sonderbarerweise macht sich dies auf regionaler Ebene nicht überall bemerkbar: solange es ein Dekanat Roth gab, hatte dies kein regionales diakonisches Werk, erst nach der Fusion mit dem Dekanat Schwabach 1968 kam es 1970 zur Gründung einer regionalen diakonischen Arbeitsform, der auch die Kirchengemeinde Roth beitrat.

In der Rother Diakoniegeschichte spiegelt sich diese Entwicklung wider, von den Anfängen in den Dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts bis heute. Das schliesst die an dieser Stelle nicht thematisierte Zeit des nationalsozialistischen Unrechts ein, die auch im Bereich der sozialen Frage eine Schande für jedes Kulturvolk war.

Roth im 19. Jahrhundert: die Anfänge

Den Anfang neuzeitlicher Diakonie setzt man in Roth mit Christian Philipp Heinrich Brandt (geb. 1790) an. Dieser kam im Jahre 1822 als zweiter Pfarrer hierher und verließ die Stadt 1833 Richtung Windsbach. In Roth gründete er 1830 einen Privat-Wohltätigkeitsverein zur Unterstützung der Armen und war an dem Entstehen einer Speisungsgesellschaft beteiligt, die den Kranken regelmäßig ein angemessenes Mittagessen brachte. Sein weiteres umfangreiches Wirken auch weit über Roth hinaus kann hier nicht gewürdigt werden, hingewiesen sei nur, dass er auch den ersten Rother Kirchenchor mitbegründet hat und in Windsbach das Pfarrwaisenhauses ins Leben rief. Er war ab 1837 auch der Dekan von Wilhelm Löhe, als dieser in Neuendettelsau seinen Dienst angetreten hatte.

Aus diesen Jahren danach sind die Nachrichten spärlich, immerhin firmiert eine Akte im Archiv der Landeskirche unter dem Titel “Dekanat Roth, Innere Mission” beginnend 1862. Das Thema muss aber vorher schon aktuell gewesen sein, denn es findet sich auch ein Aufruf aus dem Jahr 1851, die Einrichtung Puckenhof bei Erlangen zu unterstützen. Diese war als Rettungshaus und Brüderschaft nach Wicherns Bayernreise im Juni 1849 entstanden, die Brüderschaft überdauerte aber nicht lange. Trotzdem bleibt dieser Hinweis ein Zeichen für frühzeitige Vernetzung der diakonischen Anliegen über die Ortsgrenzen hinaus. Schon damals war beides im Blick: die Armen in der Stadt und die, denen in besonderen Häusern geholfen werden musste.

Auch wurde bereits 1852 zur Gründung einer Kinderbewahranstalt aufgerufen, die dann 1854 zustande kam und im Jahr darauf von dem auch in Roth gegründeten St. Johannis-Zweigverein getragen wurde. Dieser erste Kindergarten war von 8 bis 11 und 12 bis 16 Uhr geöffnet, am Samstag nur vormittags und machte Ferien an Weihnachten, Ostern, im Herbst und in der Zeit “vom Kirchweihsamstag bis einschließlich Dienstag”, heute noch bei manchen die höchsten Rother Feiertage. 1881 besitzt die Einrichtung 4 große und 2 kleine Tische sowie 8 Bänke. 1876 wird ein neu erbautes Gebäude bezogen, das dann im Juni 1914 an die Stadt übergeben wird. Der langsame aber unaufhaltsame Niedergang der St. Johannis-Vereine nach dem Tod von Max II. und dem anschließenden Desinteresse des Nachfolgers Ludwig II. im Verbund mit dem Widerstand der Regierung macht sich auch in Roth bemerkbar, sonst hätte die Stadt die finanziellen Sorgen nicht auf diese Weise lösen müssen.

Trotz der prosperierenden Zeit nach der Reichsgründung 1871 hatte die Stadt auch ihre Schattenseiten: 1888 ist in den Akten von kirchlicher Auswandererfürsorge die Rede. Wo es diese gibt, gibt es Auswanderer, wo es Auswanderer gibt, gibt es Not, die man anders nicht meistern kann. Auch das gehört in die “gute alte Zeit” eines Prinzregenten und des alten Kaiser Wilhelm.

Damit sind wir am Ende des 19. Jahrhunderts angelangt. Wir vergegenwärtigen uns, dass es seit 1854 die Diakonissenanstalt Neuendettelsau gibt und seit 1890 eine kleine Brüderschaft in Nürnberg, die in wenigen Jahren den Einödhof Rummelsberg hinter Feucht beziehen sollte. In Roth geschieht diakoniegeschichtlich Epochales, zumindest aus der Sicht der industriereichsten Kleinstadt Bayerns: es kommt zur Gründung des örtlichen Diakonievereins.

Die Gründung des Diakonievereins

Am 11.12.1898, dem dritten Adventssonntag, traf man sich zur Gründung des Vereins. Diese wurde von 29 Bürgern unterschrieben, Dekan Lorenz Sörgel war der 1. Vorsitzende. Bereits am 13. 12. wurde der Gestellungsvertrag mit Neuendettelsau gebilligt. Der Plan war, am 1. Januar eine Station zu eröffnen. Der enge Zeitplan wurde durchgehalten: am Montag, dem 2. Januar 1899, 22 Tage nach Gründung des Vereins trat die Diakonisse Margarete Weingärtner ihren Dienst an. Bedenkt man die Geschwindigkeit der damaligen Kommunikationswege und die Reisedauer, so war das geradezu ein atemberaubendes Tempo! Wann wohl mag Margarete Weingärtner erfahren haben, dass sie am Abend des 2. Januar ihr Haupt im Rektoratshaus zu Roth am Sand betten werde? Wenigstens hatte Neuendettelsau seit 1894 einen Bahnanschluss.

Am ersten Arbeitstag der Diakonisse war der Verein noch nicht in juristisch korrekten Bahnen, denn die Errichtung der Statuten durch das Landgericht Nürnberg erfolgte “erst” am 2. Februar 1899, somit 55 Tage nach der Gründung. “Statuten des Evangelischen Vereins für Krankenpflege in der Stadt Roth am Sand (Anerkannter Verein)” hat der Drucker Friedrich Feuerlein 1899 auf das Titelblatt geschrieben. Das Ziel des Vereins ist demnach, die “Einrichtung einer dem Bedürfnis entsprechenden Krankenpflege durch Diakonissen in der Stadt Roth. Zu diesem Zweck will der Verein eine oder mehrere Diakonissen anstellen. Diese sollen überall da, wo besondere Krankenpflege erforderlich ist, namentlich auch in Arbeiterkreisen, helfend eintreten. Die Pflege soll den Kranken ohne Unterschied der Konfession oder Religion gewährt werden.” Damit ist auch in Roth wie andernorts eine Grundlinie gezogen: die Hilfe in Christi Namen endet nicht an den Grenzen der eigenen Konfession oder der Religion (wir denken an die in Roth ansässigen Juden). Als 8 Jahre vorher die Neuendettelsauer Diakonisse in Schwabach ihren Dienst angetreten hatte, stand in ihrer Dienstanweisung noch “ohne Ansehen der Confession und Religion” – Rechtschreibreform im 19. Jahrhundert.

Mitglieder des Vereins können “diejenigen Glieder der evangelischen Einwohnerschaft Roths ohne Rücksicht auf das Geschlecht” werden, die sich zur Zahlung des Mindestbeitrags von 2 Mk. verpflichten. Nichtevangelische können nur außerordentliche Mitglieder “ohne Sitz und Stimme bei Ordnung der Vereinsangelegenheiten” werden. Der Vorstand besteht aus 8 männlichen Mitgliedern, der 1. Pfarrer von Roth ist automatisch Vorsitzender, der Bürgermeister sein Stellvertreter. Im Vorstand soll “möglichst auch ein Arzt sein”. Das aber hat nicht viel genutzt: in ihrem ersten Jahresbericht schreibt S. Margarete, dass “die beiden ärzte der Sache freundlich zugetan sind, aber die Hilfe der Schwester begehren sie äußerst selten”.

Die Pflege an den Kranken soll nach den Statuten “völlig unentgeltlich” geschehen, wobei alle auf den Dienst der Diakonissen Anspruch haben, die “solchen dringend bedürfen.” Dazu braucht man nicht nur Mitgliedsbeiträge sondern auch Schenkungen, die “dankbarst angenommen” werden, auch durch die Diakonisse selbst, aber nie für ihre Person, nur für den Verein oder ihr Mutterhaus.

Die Diakonisse hat freie Station, also “Wohnung, Beheizung, Beleuchtung Beköstigung, Bett und Wäsche”, wobei die Frage des Kostgelds immer mal wieder zu thematisieren war. Im Dienst untersteht sie dem vorsitzenden Geistlichen, der auch vor Überbürdung schützen soll und für eine gebührende Aufnahme und Behandlung in den Familien der Kranken zu sorgen hat.

So gerüstet macht man sich an die Arbeit, die bereits im ersten Jahr 63 Menschen erreicht und 1700 Besuche erfordert.

Die Jahre bis 1945: Aufbau, Inflation und Krieg

Die Arbeit entwickelt sich kontinuierlich, muss aber schon bald Personalwechsel verkraften: Der Jahresbericht für 1902 ist von S. Margarete Putzel unterschrieben, die unter anderem schreibt: “Arme gibt es allezeit”. 1904 berichtet S. Marie Kaiser, dass auch Nähkurse stattfinden. 1905 schreibt S. Adelheid Schaudig, das Jahr sei “einfach und schlicht” verlaufen, aber “auch in Roth kann man die soziale und geistliche Not kennenlernen”.

1910 werden von S. Margarete Geiger 18 Männer, 41 Frauen und 2 Kinder gepflegt, davon 52 Protestanten und 9 Katholische. Insgesamt meldet sie 2658 Besuche, somit lässt sich nach rund 10 Jahren feststellen, dass die Zahl der Patienten in etwa stabil ist, aber die Zahl der Besuche stieg. Zur Arbeit 1910 gehören auch 65 Nachtwachen und es waren 25 Todesfälle zu verzeichnen. Die Zahlungen an das Mutterhaus waren lange stabil, mussten aber 1906 dann auf 200 Reichsmark jährlich angehoben werden. Der Verein war trotzdem gesund: 1913 besaß er ein Vermögen von rund 5.200 Reichsmark. Personelle Engpässe gab es auch damals, aber man half sich innerhalb der Diakonissenfamilie: 1909 wird berichtet, dass eine Vakanz durch die Aushilfe von S. Lina Ortleb aus dem Krankenhaus überbrückt wurde. Dies funktionierte auch umgekehrt.

Auch in dieser Zeit gab es schon über die Häusliche Krankenpflege hinaus weitere Arbeitsgebiete: ein Jungfrauenverein kümmert sich unter Mitwirkung der Diakonisse um die weibliche Jugend, es gibt darüberhinaus eine intensive Lungenfürsorge, für die es auch einen gesonderten, nicht der Kirche verbundenen, Verein gab. Man arbeitete aber gut zusammen, noch 1927 wird im Stationstagebuch die Lungenfürsorge erwähnt.

Wie sonst im Lande auch, bringt der Beginn der 1. Weltkriegs 1914 einschneidende Veränderungen. Bald schon heißt es im Jahresbericht: “immer mehr Familien sind vom Krieg betroffen”. Deutlicher noch wird das geänderte Umfeld in der unmittelbaren Nachkriegszeit: Im August 1919 wird die Mutterhausabgabe auf jährlich 300 Mark, im September 1919 auf jährlich 500 Mark festgesetzt, im April 1922 sind es dann schon 2000 Mark. Im November 1923 geht man wegen der explodierenden Inflation zu halbmonatlichen Abrechnungen über, das Mutterhaus erhält 14.630.222.000 Mark, der Kassenbestand beträgt 1.000.000.000.000.000.– Mark!

1921 wird berichtet, dass S. Marie Engelhard sich auch am Kindergottesdienst beteiligt, wofür sie ein extra Lob ihres Herrn Rektors erhält: das sei “von großer Wichtigkeit und eine wertvolle Unterstützung, die sie dem geistlichen Amt leistet”. Zu beklagen ist aber, dass ihr Kostgeld außerordentlich gering sei, 1921 nur 50 Mark im Monat.

1925, das 25-jährige Jubiläum hinter sich, meldet der Bericht dann 2 Schwestern, neu ist Lilly Möllering. Schon in der Vergangenheit hat es immer wieder einmal Zeiten gegeben, in denen mehr als eine Schwester im Dienst gewesen war. Lobend wird erwähnt, wie der Herr Dekan die Diakonisse in ihrer Arbeit mit dem Jungfrauenverein unterstützt, vielleicht war das andernorts nicht üblich. Für 1929 heißt es, dass die Tätigkeit der Schwester “wieder kostenlos ausgeübt” wird. Damit dürfte untentgeltlich gemeint sein, offensichtlich hatte man ein paar Jahre lang, vielleicht inflationsbedingt, Kostenbeiträge verlangt.

1930 wird dann von einem Umzug der Station und der Schwesternwohnung in die Städtlerstraße berichtet. 1934 wird erwähnt, dass trotz der katholischen Station eine weitere Hilfsschwester erforderlich sei. Diese Station arbeitete mit Abenberger Schwestern zunächst bis zum Jahr 1956, später wurde sie von Pfarrer Norbert Kachel im Jahre 1980 wiederbegründet.

Im Jahr 1924 wird das Jugendheim in Roth eröffnet und die Diakonisse erhält von ihrem Mutterhaus eine “Handreichung für die Hand der Diakonisse zur Abhaltung von Bibelstunden”. 1925 kauft der Jungfrauenverein 10 Stühle für 45 Mark, wohl für das neue Jugendheim.

Mehrmals in diesen Jahren finden sich Hinweise auf gemeinsame Aktivitäten der 4 einschlägig tätigen Vereine in der Stadt: Evangelischer Verein für Krankenpflege (weibl. Diakonie), JohannisZweigverein, Verwaltung der Kleinkinderschule und Verein für Gesundheitspflege laden zum Beispiel für den 20. Februar 1922 um 20.00 Uhr zu einer gemeinsamen Generalversammlung ein. Daraus lässt sich schließen, dass sowohl die Aufgaben nahe beieinander gesehen wurden als auch die Mitglieder und die Vorstände sich deutlich überschnitten haben mussten, wenn es nicht etliche Mehrfachmandate hier wie dort gab. Nach 1933 scheinen diese gemeinsamen Versammlungen entfallen zu sein, was sicher den neuen Zeitumständen geschuldet war.

Für die Krankenpflege zuhause begann mitten im Ersten Weltkrieg ein neuer Abschnitt: Die Allgemeine Ortskrankenkasse beabsichtigte, “kleinere Zuschüsse” aus Kassenmitteln an die Stationen zu geben. 1926 wird gemeldet, dass auch die “Fabrikkassen” Zuschüsse geben, damit sind wohl die in Roth ansässigen Betriebskrankenkassen gemeint, die zum Teil heute noch, wenn auch in Fusion mit anderen Kassen wirken. Damit war eine Brücke geschlagen, die später existenziell bedeutsam werden sollte: erstmals gibt es über freiwillige Zuwendungen unterschiedlicher Art hinaus Geld aus einem Haushalt, der sich aus gesetzlichen Beiträgen finanziert. In der Not der Kriegsjahre wird es niemandem bewußt gewesen sein, aber es ist aus heutiger Sicht klar, dass damit zwei Systeme sich aufeinander zu bewegten: Auf der einen Seite die Diakonie mit ihrem geistlichen Ansatz, der in der konkreten Tat sichtbar wird und die letztlich vom Opfer lebt, sowohl dem Geld- und Sachopfer der Gemeindeglieder als auch dem existenziellen Hingeben einzelner Frauen im Diakonissengelübde (“Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe”). Auf der anderen Seite die Krankenkasse mit ihren Zahlungen aus Zwangsbeiträgen und ihrem Anspruch auf dem Gesetz fachlich und juristisch entsprechenden Tätigkeiten. Es wird zu Konflikten geradezu kommen müssen.

Die immer noch in kirchlicher Hand befindliche Kleinkinderschule kommt Ende der Dreißiger Jahr in Bedrängnis: der nationalsozialistische Unrechtsstaat drängt auf die Schließung kirchlicher Einrichtungen der Kindererziehung. Über den Hebel, dass das Gebäude seit langem der Stadt gehört, gelingt das schließlich. Ganz geschieden waren beide Sphären, die der Kirche und die der Nationalsozialistischen Bewegung sicher nicht. Der Neuendettelsauer Rektor schreibt schon im Januar 1936 an die Rother Diakonisse, da die Kollegin sich “an die NS-Frauenschaft angeschlossen hat, muss das Mutterhaus natürlich auch Ihnen die Erlaubnis dazu geben, wenn sie es für nötig halten und wenn sie selbst es wollen. Wir halten es nicht für nötig.”

Interessant ist, dass das Vermögen trotz der Widrigkeiten langsam aber kontinuierlich steigt: von 1.849 nach der Währungsreform 1925 auf 6.119 im Jahre 1938 und 13.048 im Jahr 1946.

Im Winter 1938 auf 1939 geht es den Menschen besonders schlecht: “Lungenentzündungen und Grippeerkrankungen lösten sich gegenseitig ab. In einem Hause starben 3 erwachsene Personen in einer Woche. Die Schwester kam gar nicht mehr nach Hause und dies äußerst lange Zeit, erst Ende März wurde es besser.”

Noch in der Weimarer Zeit, 1928 baut das Blaue Kreuz mit einem Ortsverein eine eigene Station für Suchtkrankenhilfe auf. Die Sorge um alkoholkranke Menschen und ihre Angehörigen steht bis heute im Mittelpunkt. Diese Einrichtung wird von Hensoltshöher Schwestern besetzt, einem Mutterhaus in Gunzenhausen, das sich dem Gnadauer Verband angeschlossen hat und nicht wie Neuendettelsau zur Kaiserswerther Konferenz gehört. Damit sind zwei voneinander unabhängige, aber im selben Geist tätige Vereine in der Stadt aktiv. Dies ist bis zum heutigen Tage so, wie überhaupt Diakonie an einem konkreten Ort häufig ein vielfältiges Gesicht zeigt: unterschiedliche Frömmigkeitsstile, Persönlichkeiten und Arbeitsansätze sprechen auf verschiedenen Fachgebieten die Menschen je auf ihre eigene Art an.

Am 8. Januar 1943 ist im Stationstagebuch Personalmangel, wahrscheinlich durch den Krieg zu spüren: “Die Gartenarbeit fürs Krankenhaus wurde auch in diesem Jahr, das hinter uns liegt, von mir besorgt, auch die ganze Näherei, damit ist den Schwestern viel geholfen.” Trotzdem waren 122 Kranke bei 2467 Besuchen zu versorgen.

“Die Fliegeralarme sind nun vorüber, am 19. April 4 Uhr abends war der letzte. Man musste sich einen guten Keller suchen, den ich bei Herrn Buchdrucker Müller fand mit noch 60 Personen. Der Feind rückte heran und schon um 5 Uhr brennt es rechts und links von unserem Schutzort und wir im Keller hatten uns alle in Gottes Hand begeben. Es krachte entsetzlich, kaum zum Aushalten. Aber durch Gottes große Güte wurden wir vor allem Übel behütet, Herrn Müller kostete es nicht eine Scheibe Glas. Man hatte dann noch 20 Stunden auszuhalten bis der Feind endlich durchkam und in meiner Wohnung konnte ich auch alles unversehrt antreffen, was auch wieder loben und danken auslöste.”

“Am 22. jedoch nahmen die Amerikaner das Haus im Schloß und wer drinnen wohnte, musste alles liegen und stehen lassen und sich ein neues Quartier suchen. Ich kam Sonntag mittag im Krankenhaus an. In dieser Zeit starb Frau Bürgermeister Groß. Herr Bürgermeister Groß war früh schon tot, sie waren des Lebens müde. Montag Abend konnte ich wieder einziehen und was man antraf war alles andere, nur nicht schön. Alles wurde durchgesucht, genommen wurde in der Wohnung nichts, was fehlte, kam außerhalb der Wohnung weg. Im Luftschutzraum Frau L[Name gekürzt -we] hat auch alles überstanden in einem anderen Schutzraum und Gott fügte es, dass ihr großer Sohn bald schon kam, der ihr viel Schutz ist. Ihr Mann will sie nicht mitleben lassen, das ist immer ein schwerer Kampf, sie wollte ja gerne sterben, aber sterben, das liegt in Gottes Willen. Der Feind besetzt das Kabelwerk und somit ist die ganze Umgebung sehr sehr unruhig, manchmal nicht zum aushalten, was nun tun – nichts, ausgehalten muss werden. Die Wohnungskommission wurde mir auch geschickt von der jüngeren Frau W[Name gekürzt -we] hier im Haus. Sie wollte die Wohnung, nun bekam sie das hintere Zimmer, das ihr als Luxuszimmer dient und die Gemeindeschwester braucht es zum [unleserlich]. Zur Zeit ist es warm, so furchtbar unruhig durch die ganzen Nächte hindurch dass an Schlafen nicht zu denken ist. Was nun tun, nichts kann man tun, aushalten und alles in Gottes Hand legen. Er weiß auch Zeit, dies zu nehmen. Gib Dich zufrieden. Geschrieben am 22. IV 46, Ostermontag”

So schildert die Diakonisse das Kriegsende in Roth, allerdings aus der Distanz von einem guten Jahr. Ist von einer Vergewaltigung die Rede, weil der Mann nicht mehr mit seiner Frau leben will, und der heimgekehrte Sohn eine so große Hilfe ist? Welcher Luxus wurde von Frau W in dem zusätzlichen Zimmer getrieben? 1947 heißt es dann lapidar “Kranke gabs wieder zu pflegen, meist ältere Leute, die alle zum Teil kriegslanges Krankenlager hatten. Fast bei jedem von denen die starben, war es C. #”. Der letzte große Buchstabe ist unkenntlich gemacht. Der Sommer ist heiß und man muss sich viel um den Garten kümmern, aber trotzdem “Gemüse gabs nicht viel, Blumenkohl eine große Menge”. Der Gartenertrag als Teil der freien Station für die Gemeindeschwester und als Hilfe für die Kolleginnen: “Den Krankenhausgarten habe ich all die Jahre sehr gepflegt. Das soll aber nicht so weiter gehen. Frl. Käthe hat jetzt selbst Zeit.”

Die Kriegsfolgen wirken noch lange nach: “Frau L[Name wie oben, gekürzt -we] ist immer noch hilflos … Gott möge ihr helfen, solange tatenlos zu sein, ist schwer.”

Nachkriegszeit: Wiederaufbau und Motorisierung

Im März 1951 gibt sich der Verein eine neue Satzung: “Evang.-Luth. Diakonieverein für Krankenpflege in der Stadt Roth” heißt er nun “in Abänderung der bisherigen Bezeichnung”. Der Zweck bleibt gleich, die Mitgliedschaft ebenso, der Mindestbeitrag beträgt nunmehr 4 DM zuzüglich einer Aufnahmegebühr von 50 Pfennigen. Nichtevangelische Einwohner können weiterhin nur außerordentliche Mitglieder werden. Der Vorstand besteht jetzt aus 6 männlichen und 6 weiblichen Mitgliedern, der “Vorsitzende ist immer ein Pfarrer, in der Regel der Dekan von Roth, dessen Stellvertreter sowie der Kassier von dem Vorstand aus seiner Mitte gewählt werden.” Die weiblichen Vorstandsmitglieder “haben den Diakonissen mit Rat und Tat in ihrem Beruf zur Hand zu gehen, die Werbung neuer Mitglieder ins Auge zu fassen und freiwillige Gaben entgegenzunehmen.” Über die Aufgaben der männlichen Vorstandsmitglieder schweigt die Satzung. “Der Dienst unserer Schwestern kommt in erster Linie den Mitgliedern im Krankheitsfalle zu. Darüberhinaus steht der Dienst der Schwestern nach Möglichkeit und Dringlichkeit anderen zur Verfügung. Die Pflege an den Kranken geschieht völlig unentgeltlich”. Erst nach 4 Wochen Einsatzzeit und bei Nachtwachen wird sich der Vorstand mit einer Vergütung befassen. Es werden folgende Vorstandsmitglieder genannt: Dekan Giese, Pfarrer Hugo Karl Schmidt, Diakon Wiegel (Kassier und Schriftführer), die Herren Maser, Schlemmer, Dr. Schmidt und die Damen Anna Bauer, Frl. Düll, Fr. Kaltenbusch, Frau Wegner, Frl. Thiele, Fr. Kraul, wahrscheinlich eine Wahl am 18.5.1951; die Satzung wurde dann in der Mitglieder-Versammlung am 19.II. 1952 vorgelesen und genehmigt”. Deutlich zu erkennen: gegenüber den Wochen der Gründung haben sich die Entscheidungen nun länger hingezogen. Obwohl von einem gesonderten Einsammler für die Beiträge die Rede ist, berichtet die Diakonisse an ihren Rektor, dass sie selbst auch mit dem Einsammeln der Beiträge befasst sein muss.

Im gleichen Jahr ist auch nach über 20 Jahren ein Wechsel erforderlich: S. Christine Beck verlässt Roth, ihre Nachfolgerin Anna Bauer bleibt nur 2 Jahre, dann muss sie aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Da hatte dann die Stadt ein Einsehen und liess auf Veranlassung des Stadtbaumeisters Schmidt die Wohnung wieder einmal tünchen. Die Zeiten ändern sich wieder: “immer mehr hielten sich die evang. Gemeindeglieder wieder an ihre Schwester”, schreibt sie im Rückblick auf ihre Zeit und betont die Notwendigkeit einer zweiten Kraft. Das enteignete Zimmer kam zurück und auch das Bad dazu, da war dann auch Platz für eine Verbandsschwester, die so heißt, nicht weil sie Verbände macht, sondern weil sie sich dem Neuendettelsauer Schwesternverband angeschlossen hat; eine bewußt diakonische Berufswahl ohne die Verpflichtungen des Diakonissenstandes. Mit vereinten Kräften renovierte man die Wohnung, die Stadt ließ das Wasser hertragen, es wurde getüncht, eine Lehrerin spendierte einen Ofen, Vorhänge finanzierte man aus einer größeren Spende und die Schwestern richteten miteinander alles her. Dazu dann noch ein Fahrrad, Stragula in den Zimmern und Töpfe, Pfannen, Mehlsieb, Teigschüssel und eine Menge Kleinigkeiten an neuem in der Wohnung. Man spürt: Es geht wieder aufwärts! Aber “es fehlt noch manches”: “Im Wohnzimmer hatten wir einen Ofen, der einige Stunden brauchte, bis er Wärme ausstrahlte”. Natürlich bleibt die Krankenpflege das Hauptthema und man spürt beim Lesen den Stolz der Schwester auf die beruflichen Anschaffungen: Wasserkissen, Bettschüsseln, Klistierspritzen und manches andere. Der Garten verbessert immer noch die Lebensqualität mit Grünzeug, Salat, Zwiebeln und Kartoffeln und “immer auch ein paar Blumen”. Ihr Resumee, als sie gehen muss: “So bin ich dankbar für die kurze Zeit, die ich in Roth war. Ich habe viel gute und auch gläubige Menschen angetroffen und werde gerne an sie zurückdenken”.

S. Grete Link kam dann am 30. April 1954, sie wird bis 1968 bleiben. 1956 versorgt sie 154 Patienten und muss den Abzug der katholischen Schwestern miterleben. Bald schon muss sie feststellen, dass sie die Arbeit “mit dem Fahrrad fast nicht mehr leisten konnte”, so begann der Zeitalter der Motorisierung mit einem Motorrad. Die Schwester ist nicht nur fachlich in der Pflege engagiert sondern auch intensiv mit Besuchen beschäftigt, vor allem bei alten Menschen und dies besonders in der Adventszeit. Diese Besuche erbrachten als Nebenergebnis eine besondere Sammlung, für ein neues Moped, das erste Fahrzeug war nämlich “baufällig und gefährlich” geworden. 1959 gibt es dann einen BMW 600, 4 Jahre später als Ersatz einen VW 1200 und dann auch noch einen Gasofen. Wirtschaftswunder in der Welt der Diakonissen.

Sie sind fest im Leben der Gemeinde verankert, geben dem Diakon Adressen, damit er mit Jugendlichen in der Vorweihnachtszeit in die Häuser geht und dort Lieder singt. “Immer wieder durften wir hören, dies sei die schönste Weihnachtsfeier gewesen. Die Jugend selbst war davon so beglückt, dass sie sich schon auf das nächste Jahr freut”. Der Freundesring Sulzbürg wird schließlich von S. Grete geleitet und sie bestreitet im Jahr 1956 allein 40 Frauenabende. “Wenn wir auch keinerlei Freundschaften in der Gemeinde haben, so fühlen wir uns mit unseren lieben Rothern doch mehr und mehr verbunden” schreibt sie dazu über die Einbindung in die Gemeinde und fährt fort: “es ist allen so selbstverständlich, dass wir Leid und Freude mit ihnen tragen. Der Herr schenke uns dierechte Demut für unseren Dienst.” Die Werbung um den Nachwuchs wird wichtig: Die Schwestern laden Konfirmandinnen ein, um über das Mutterhaus zu informieren und für den Beruf zu werben. Sie bemühen sich weiter intensiv um die Einbindung ins Gemeindeleben, betonen die Wichtigkeit der Geburtstagsbesuche, “dass jeder über 70 Jahre wenigstens im Jahr einmal besucht wird”, halten Bastelabende und werben für die Bibelstunden mit Pfarrer Hugo Karl Schmidt. Sie pflegen die Beziehung zum Erholungsheim Sulzbürg und veranstalten Ausflüge bis zum Königssee. Das hat Konsequenzen: es ergibt sich ein gutes Verhältnis zwischen den Schwestern und der Gemeinde wie auch zu den Pfarrhäusern.

1959 wird ein “diakonischer Tag” durchgeführt, der Rektor aus Neuendettelsau predigt und eine Gruppe “blaue Schülerinnen” singt in der Kirche (die blaue Schürze war das Erkennungszeichen der am weitesten fortgeschrittenen Schülerinnen der Diakonissenausbildung, die unteren Klassen hatten rote oder grüne Schürzen) und beim Gemeindeabend geben die jüngeren Schwestern in Wort, Lied, Lichtbilder und persönlichen Zeugnissen Auskunft über Beruf und Berufung der Diakonissen und beeindrucken damit die Besucher. “Aber bis jetzt hat sich leider noch kein junges Mädchen für die Diakonie gemeldet”.

Im Februar 1960 kommt Dekan Georg Weiß nach Roth, die Stadt feiert ihren 900. Geburtstag und das Dienstauto bekommt eine Garage. Diakon Wiegel geht nach Rummelsberg und es kommt Diakon Hailer. Im Jahr darauf muss die Verbandsschwester Käthe Holz aus gesundheitlichen Gründen in der Gemeinde aufhören, leider ohne Ersatz. Es sollte ursprünglich eine Frau für die Haushaltsführung eingestellt werden, die die Schwester an dieser Stelle entlastet, dazu kam es aber nicht. Trotzdem wurden 142 Personen gepflegt bei 5551 Besuchen. Erst im April 1962 kommt Frau Herta Wagner aus Graz “für den Besuchsdienst in der Gemeinde”, bleibt aber nur wenige Monate.

Damit war ein Personalproblem entstanden: wie die Lücke füllen? Der Blick ging auf die eigenen Möglichkeiten: es wurden “aus der Gemeinde 20-25 Frauen aufgerufen, in diese Lücke zu treten”. Für diesen Dienst wurden sie “von Pfr. Schmidt und Dekan Weiß mit Bibelstunde über Matth. 25, 31-45 und praktischen Anweisungen eingeführt”. Dies wird von S. Grete als große Entlastung und Beruhigung erfahren, auch die Pfadfinder hätten sich angeboten, zu helfen, soweit sie können. Die Zahl der gepflegten Patienten geht zurück auf 135 bei 3690 Besuchen, das ist der Besetzung der Station geschuldet. Ein Teil des Rückgangs geht aufs Wetter: “bis März getraute ich mich des vielen Schnee und Eis wegen nicht mit dem Auto zu fahren. So konnte ich in dieser Zeit auch nur einen kleineren Teil der Kranken versorgen” heißt es im Rückblick auf 1963. Bei der Jahreshauptversammlung legt der Neuendettelsauer Rektor Theodor Schober der Gemeinde “die Aufgabe an ihren Kranken, Alten und Einsamen ans Herz”. Nachdem es in diesem Sommer ein neues, größeres Auto gibt “fahre ich auch im Winter mit größerer Sicherheit” schreibt S. Grete. Es war das Jahr, in dem das Jugendheim in der Mühlgasse eingeweiht wurde, was auch die Schwester so sehr erfreute, dass sie erstmals seit 1926 in das Tagebuch einen Zeitungsartikel einklebte.

Im Jahr 1965 muss Neuendettelsau die Entsendung von Diakonissen ins Rother Krankenhaus stoppen und sie durch Verbandsschwestern ersetzen. Dies ruft eine “echte Bestürzung in der Bevölkerung hervor”. Es zeichnet sich eine Zeitenwende diakonischer Arbeit ab, auch wenn zunächst im Herbst noch 4 Diakonissen hier bleiben. Im selben Jahr muss die Schwester von Juli bis September zur Vertretung in das der Diakonissenanstalt gehörende Behindertenheim nach Polsingen, die Gemeinde bleibt unversorgt zurück: “ich war dankbar, dass es in dieser Zeit nicht so viele Schwerkranke gab”.

1966 bei der Mitgliederversammlung zeigt der Verein, dass er die Zeichen der neuen Zeit erkennt: er holt den Neuendettelsauer Pfarrer Heinz Miederer zum Thema “Gemeindediakonie der Zukunft” und diskutiert intensiv die Lage: die Diakonissen sind zu 75 % über 55 Jahre alt, in 9 Jahren wird nur noch jede dritte im Dienst sein. Die Krankenhausbetten wurden verdreifacht, der Personalbedarf im Krankenhaus stieg auf das Achtfache. Da nutzt es nichts, dass die Zahl der Krankenschwestern sich verdoppelt habe, die Hälfte scheide eh bald nach der Ausbildung wieder aus. Beruf und Familie waren noch nicht vereinbar. Die Antworten, die in der Diskussion in diesem Februar 1966 gegeben werden, sind die nächsten Jahrzehnte im Kern weiter gültig: Einsatz von “freien Schwestern”, die, so Miederer, “ihren Dienst im gleichen Geist tun” und die Schulung von Laienkräften durch Kurse in häuslicher Krankenpflege, denn “Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe seien die beste Entlastung der Gemeindediakonisse.” Der Diakonieverein hat die Anforderungen sehr wohl erkannt, auch wenn natürlich die Hoffnung besteht, dass S. Grete “noch lange hier wirken könne”, wie Helmut Kalb aus der Versammlung für die Zeitung berichtet.

Im Januar 1967 geht der Blick der Mitgliederversammlung wieder in die Zukunft: “Neue Wege in der Gemeindediakonie” ist das Thema, man holt als Referenten einen Diakon aus Eibach, der dort einen gemeindebezogenen Hilfsdienst für die Diakonisse aufgebaut hatte. Es schwant allen, wenn S. Grete in den Feierabend geht, wird es keine Nachfolgerin aus Neuendettelsau mehr geben. 1968 zeigt sich die Vernetzung diakonischer Arbeitsfelder: in der Mitgliederversammlung wird berichtet, dass eine Sozialarbeiterin von der Stadtmission Nürnberg regelmäßig in den Dekanaten Roth und Schwabach tätig war, die Stadtmission musste diesen Dienst außerhalb ihres Stammgebiets aber einstellen. Diese Nachricht ist der Anstoß für die Gründung des Diakonischen Werkes im Dekanatsbezirk Schwabach im Jahre 1970, da war Roth aber schon kein Dekanatssitz mehr, sondern zum Dekanat Schwabach umgesprengelt. Bis es soweit war und man ab 1972 in Schwabach einen Sozialarbeiter einsetzen konnte, übernahm der Diakon in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer des Diakonievereins die Aufgaben, vor allem im Bereich der damals umfangreichen Erholungshilfe.

In der Gemeinde selbst kommt es neben weiteren Hauspflegekursen auch zu einem Kurs über Säuglingspflege und einem Elternseminar. Dekan Weiß stellte der Versammlung erneut die Zukunftsfrage: “Wie muß Gemeindediakonie heute aussehen?”.

Im Herbst 1968 geschieht dann das Wunder: S. Grete wird versetzt, aber sie bekommt eine Diakonisse als Nachfolgerin. S. Margot Desenick wird bis 1979 hier wirken und anschließend als Fachreferentin im Diakonischen Werk Nürnberg den rasanten (Wieder-)Aufbau der ambulanten Krankenpflege begleiten. Dass sie dennoch nicht die letzte Diakonisse in der Krankenpflege der Gemeinde sein würde, sondern ihre Nachfolgerin erneut vom Neuendettelsauer Mutterhaus entsandt wird, hat sich damals wohl niemand träumen lassen. Es sollte aber so kommen.

Zunächst aber war S. Grete noch da, besuchte die Kranken, begleitete einen Nähkurs und beobachtete die kirchlichen Veränderungen: Dekan Weiß muss vorzeitig in den Ruhestand gehen, die Dekanatssynode befasst sich mit der Verlagerung ins Dekanat Schwabach: “Dies wurde von allen Teilnehmern heftig abgelehnt.” Am 13. September dann der Tagebucheintrag: “Frau Oberin teilt mir mit, dass ich am 1. Oktober in Hersbruck, städt. Altenheim die Leitung übernehmen soll. Gott schenke mir die rechte Weisheit und Kraft dazu. Zu meiner und der Gemeinde großer Freude wird zum 1. Oktober die Diakonisse S. Margot Desenick meinen Dienst hier in der Gemeinde übernehmen.” Zur Einführung kommt ein alter Bekannter aus Neuendettelsau, mittlerweile ist er Konrektor, Heinz Miederer und fragt zu Recht: “Weiß Roth überhaupt, was es bedeutet, dass die Gemeindeschwester ersetzt wird?”. An dieser und an anderer Stelle wird immer wieder die Notwendigkeit betont, die Gemeinde diakonisch zu aktivieren.

S. Margot kannte Roth bereits, denn sie war im Rahmen ihrer Diakonissenausbildung 3 Jahre im Krankenhaus und legte hier auch ihr Examen ab. Sie konnte sich über ein gut bestelltes Feld freuen: “dank der gütigen und wertvollen Vorarbeit von S. Grete wurde mir das Eingewöhnen in Roth recht leicht gemacht.” Auch sie integriert sich im Gemeindeleben, berichtet von guten Kontakten zum Krankenhaus, Altenbesuchen und den Vorbereitungen für das 70. Jubiläum 1969. Ihre letzte Mitteilung in jenem Schreibheft, das 1926 begonnen wurde und in dem sich auch eine vollständige Liste aller Diakonissen seit 1899 findet, ist dann die Mitteilung: “Die Station hat ein Spülklosett erhalten”. Ihre Wohnung war damals im Schloß Ratibor.

Neue Wege: die Diakonissen werden weniger, Zuschüsse und Gebühren mehr

Die Arbeit geht zunächst in den gewohnten Bahnen weiter: Krankenpflege, Besuchsdienste, offene Altenarbeit, der damals neue “Feierabendkreis” und Kurse für häusliche Krankenpflege. 1971 schließlich im Krankenhaus die engültige Zäsur: Mit S. Margot Rehm verlässt die letzte Diakonisse die Klinik. S. Margot und ihre Kollegin im Blauen Kreuz bleiben die einzigen Diakonissen in der Stadt. 1972 dann erneut eine Erweiterung mit der Altenpflegerin Mechtild Koch, die ebenfalls Neuendettelsauer Wurzeln hat. In diesem Jahr beginnt auch der Sozialarbeiter Roland Flurer seinen Dienst im Diakonischen Werk auf Dekanatsebene. Er hält einmal wöchentlich Sprechstunde, die sein Nachfolger Wolfgang Grün fortsetzt und die 1977 vom Verfasser übernommen wird. Die Sprechstunde schlief dann Anfang der Achtziger Jahre mangels Nachfrage wieder ein. Das heißt nicht, dass Rother Gemeindeglieder unversorgt geblieben wären, es haben sich aber durch die zunehmende Verbreitung des Telefons andere Möglichkeiten ergeben, Beratungsgespräche direkt zu vereinbaren. Ein fester Treffpunkt als Anlaufstelle war nicht mehr nötig.

1973 lädt Pfarrer Hans Jürgen Krödel seinen Bruder in die Mitgliederversammlung des Diakonievereins ein. Detlev Krödel ist in der Verwaltung der Stadtmission Nürnberg tätig und berichtet über die neuen Entwicklungen in der ambulanten Krankenpflege, vor allem über die Mitfinanzierung durch die Krankenkassen in deutlich gestiegenem Ausmaß. Es ist auch das Jahr, in dem in Rheinland-Pfalz der Sozialminister Heiner Geißler unter dem Ministerpräsidenten Helmut Kohl den Begriff der “Sozialstation” erfindet: ein Dienst ambulanter Versorgung, in der Krankenpflege, Altenpflege und Familienpflege gebündelt werden. Letzteres meint die Versorgung gesunder Kinder in einer Familie mit kranker Mutter und war kurz zuvor als § 185b in die Reichsversicherungsordnung eingebaut worden. Die Mitarbeiterinnen in diesem Arbeitsfeld innerhalb der bayrischen Diakonie kamen meist vom Hesselberg, einige auch vom Missionsdienst für Christus in Stockdorf. Auf Dekanatsebene wurde 1975 eine solche Familienpflegestation im Diakonischen Werk Schwabach eingerichtet und vom Hesselberg besetzt.

1975 ist aber zunächst ein Jubiläumsjahr: 75 Jahre Diakonissen in der ambulanten Krankenpflege Roth, zu Gast ist wieder einmal Heinz Miederer, mittlerweile Rektor in Neuendettelsau, der Roth und dem Dekanat Schwabach persönlich sehr verbunden war. Man vermutet sicher nicht unrecht, dass seine familiären Verbindungen nach Roth mitgeholfen haben, die lange Versorgung der Station mit Diakonissen zu sichern.

1976 wird S. Margot zur Weiterbildung abgeordnet: sie absolviert eine halbjährige Ausbildung zur Fachkrankenschwester für Gemeindekrankenpflege in Bethel. Fachlichkeit wird nunmehr auch formal definiert, Zeugnisse werden wichtiger. 1977 wird auf Dekanatsebene eine Sozialstation gegründet, nachdem auch der bayrische Staat entsprechende Förderungen vereinbart hat: es müssen drei Fachkräfte aus zwei verschiedenen Berufen zusammen kommen, dann kann man eine Sozialstation gründen. Das Diakonische Werk Schwabach mit seiner Familienpflege, die neu gegründete Diakoniestation der Kirchengemeinde Wendelstein mit einer Halbtagsschwester und die Diakonisse der Kirchengemeinde Schwabach St. Martin stehen bereit. Das sind aber nur 2,5 Fachkräfte, wenn auch aus zwei Berufen. Die Anfrage an den Diakonieverein Roth zur Kooperation wird zunächst abgelehnt, die Sozialstation in Schwabach wird unter Einbeziehung der Diakonisse in Katzwang gegründet. Die Rother Station kommt erst im Jahr danach in den Arbeitsverbund mit Schwabach.

Dabei hätte schon 1977 guter Grund für einen Blick über den Tellerrand bestanden. Im Gemeindebrief schreibt Pfr. Krödel: “Diakonieverein am Ende”: die Kosten für die Kirchenrenovierung haben die Gemeinde belastet, die Ausgaben für die Diakoniestation gingen dann über die Spendenbereitschaft hinaus. Aber es bestanden Bedenken gegenüber dem Neuen: “Ist die staatlich geförderte Sozialstation die Rettung aus dieser Misere?” fragt Pfarrer Krödel im erwähnten Gemeindebrief. Staatliche Zuschüsse für Dienste der Nächstenliebe – der Gedanke muss jeden umtreiben, der sich mit den geistlichen Grundlagen diakonischen Handelns befasst. Entgelte, die mehr sind als geringe Zuschüsse, sondern regelkonform nach einer ärztlichen Verordnung und einer Gebührenvereinbarung zwischen Wohlfahrtsverbänden und Kassenverbänden gezahlt werden, waren auch ein fremder Gedanke. Wo bislang die Gemeindeglieder die Spenden gaben und die Diakonisse die Hilfe leistete, sollten in Zukunft staatliche und kommunale Förderbedingungen, Krankenkassengebührentabellen und ärztliche Verordnungen den Alltag bestimmen. “Wenig erfreuliche Aussichten” schreibt Pfarrer Krödel weiter. Dass im Untergrund auch noch Stimmungen gegen “die Schwabacher” eine Rolle spielten, durfte der Verfasser, damals einerseits Rother Gemeindeglied, andererseits als Angestellter des Diakonischen Werks Schwabach beauftragt, den Wiederausbau der ambulanten Krankenpflege dekanatsweit voranzubringen, hautnah erleben, nicht zuletzt im Gespräch mit dem damaligen Rother Bürgermeister, der nicht einsehen wollte, dass ein Diakonieverein in kirchlichen Strukturen denkt und handelt, sondern meinte, er könne Vorschriften machen: die Kreisstadt braucht eine eigene Sozialstation.

Bald danach verlässt S. Margot die Stadt, ihr Mutterhaus entsendet sie auf die Stelle einer Fachreferentin für Gemeindekrankenpflege beim Diakonischen Werk Bayern in Nürnberg und – wieder ein Wunder – ihre Nachfolgerin ist im Frühjahr 1979 nochmal eine Diakonisse: S. Erna Seng. In dieser Zeit ging rund um Roth die Zeit der Diakonissen in der Gemeindekrankenpflege zu Ende: 1978 war in Schwabach S. Margarete durch eine Verbandsschwester aus Neuendettelsau ersetzt worden und 1980 ging die Hensoltshöher Diakonisse in Katzwang in den Feierabend, ihre Nachfolgerin wurde eine freie Schwester. Beim Diakonieverein Georgensgmünd und bei den Blaukreuzstationen in Roth und Schwabach blieben vorläufig noch Diakonissen.

Hätte man 1977 vorhergesagt, dass der Diakonieverein rund zwei Jahrzehnte später nicht rund 600, sondern 1.600 Mitglieder hat, hätte man behauptet, er würde über 300 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bezahlen, er würde nicht nur ambulante, sondern auch stationäre Pflege anbieten, er würde eine Schule betreiben, sich auch in der Jugendhilfe tummeln und seine Aktivitäten weit über Roth hinaus ausweiten bis in die Landkreise Ansbach und Weißenburg, hinein in den Landkreis Nürnberger Land, man wäre ausgelacht worden.

Hätte man 1997 prophezeit, dass der Verein sein 110-jähriges Bestehen als Förderverein begeht, keinerlei Einrichtungen mehr besitzt außer einem Gesellschafteranteil an der Diakoniestation Schwabach für den Bereich der ambulanten Krankenpflege, nur mit Mühe die Finanzierung hierfür aufbringen kann und ansonsten aus einer Mitgliederkartei mit rund 700 Adressen besteht, man wäre je nach Temperament des Gesprächspartners verhöhnt oder gesteinigt worden. Und doch hätte jener Prophet beide Male recht behalten.

Aufstieg und Fall, Neuanfang und das Ende der Diakonissenära

Am 01.06.1979 trat Pfarrer Hans Roser seinen Dienst als 1. Pfarrer in Roth an. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen außergewöhnlichen Lebenslauf hinter sich. Schon in jungen Jahren mit Anfang Dreißig war er auf Landesebene tätig als der erste Pfarrer im Verband der evangelischen Landjugend, seinen Dienstsitz hatte er in der Landvolkshochschule Pappenheim. In diesen Jahren betrieb er außerdem seine parteipolitische Karriere, die ihm 1969 einen Listenplatz im Deutschen Bundestag einbrachte. Er wurde 1972 wiedergewählt und schied 1976 dort nach einem Herzinfarkt aus. Nach der Genesungszeit im Wartestand kam er mit 48 Jahren nach Roth, voller Elan und mit Erfahrungen und Kontakten, die ein anderer Pfarrer im Gemeindedienst nie hat haben können. Dementsprechend legte er ein atemberaubendes Tempo vor. Nicht zuletzt hatte er sich nach seinen eigenen Worten nach Roth gemeldet – die Besetzung lag in den Händen des Landeskirchenrats – weil es hier einen Diakonieverein gab. So liest sich die Liste seiner diakonischen Aktivitäten – die anderen bleiben hier unerwähnt – wie ein Stakkato: Er holt das Augustinum nach Roth, das ein Wohnstift gründet, er schafft es, die Vorbereitungen des Diakonischen Werkes für ein Altenheim zu komplettieren, holt dies nach Roth und zieht dank seiner Kontakte das Projekt an allen Wartelisten bei den Zuschussgeber vorbei nach vorne. 1984 kann das Haus eröffnet werden. Es bietet konzeptionell ein Novum: erstmals ist die Zahl der Plätze für pflegebedürftige Bewohner höher als für damals so genannte “Rüstige”. Er hatte erkannt, das die bereits in den Achtziger Jahren diskutierte Überalterung der Gesellschaft auch ihre baulichen Konsequenzen haben muß. Er sah auch, dass hierfür mehr Personal geschult werden muss und gründete eine Altenpflegeschule. Damit diese auch für Frauen mit Familie, die eine zweite Berufsausbildung oder Umschulung anstreben, interessant wird, gestaltete er sie im Teilzeitverfahren.

In der häuslichen Pflege gibt es in diesen Jahren landauf, landab und auch in Roth eine rasante Erweiterung, mutige Neueinstellungen, die sich bald als zu gering erwiesen und weitere Stellen nach sich zogen. Ambulante Pflege war plötzlich wieder ein Thema in der Öffentlichkeit, Familien wurden ermutigt, ihre Kranke zu benennen und Hilfe von außen anzunehmen. Wie wenn man in der Musik das Vorzeichen ändert, klang das Lied der häuslichen Pflege auf einmal positiv. Nicht mehr eine überlastete Diakonisse auf dem Fahrrad war das Leitbild (das damals eigentlich schon lange nicht mehr stimmte), sondern eine fachlich gut ausgebildete, gut ausgerüstete und natürlich motorisierte Krankenschwester, die von Haus zu Haus eilt. Der Arbeitsverbund der Rother mit der Zentralen Diakoniestation in Schwabach musste wieder aufgegegeben werden, weil die staatlichen Bedingungen ab der 11. Mitarbeiterin keine zusätzliche Förderung mehr vorsahen. 1977 hat jeder das für ein utopisches Ziel gehalten: 10 Fachkräfte in Roth, Schwabach, Katzwang, Wendelstein und Schwanstetten/Rednitzhembach galten als unerreichbar. Die Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren die besten der ambulanten Krankenpflege. In allen Orten gründeten sich neue Diakonievereine und stellten Personal ein, diejenigen, deren Station wie in Roth die mageren Jahre überlebt hatten, erweiterten sich deutlich. Unversorgte Außenorte wie Eckersmühlen und die Kirchengemeinden Büchenbach und Wassermungenau kamen dazu, bald war im Dekanat Schwabach kein Ort mehr ohne Versorgung durch eine Diakoniestation, sieht man von der Diasporalage in Hilpoltstein ab. Aber dort war die Caritas genauso aktiv wie im evangelischen Stammland die Diakonie. Später kamen dann mit den gleichgelagerten Diensten der Arbeiterwohlfahrt und noch später des Roten Kreuzes auch die anderen Wohlfahrtsverbände in dieses Arbeitsfeld. Schließich vermehrten sich ab 1995 mit der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung auch die privaten Dienste, die vorher eher ein Schattendasein geführt hatten.

Ambulante Pflege ist trotz aller Professionalisierung weithin Sache der Angehörigen. Diese müssen ebenso gestützt werden wie die Fachkräfte Fort- und Weiterbildung benötigen. Das Ergebnis dieser Überlegungen heißt “Pflege für die Pflegenden” und nimmt diesen Personenkreis erstmals überhaupt ins Blickfeld. Er bekommt Beratungsangebote und wird zur Erholung nach Meran eingeladen, dabei spielt Doris Roser eine tragende Rolle.

Mitten in diesen Ausbaujahren die entscheidende Zäsur in der Pflege: S. Erna Seng gibt die Leitung der Station Anfang 1996 ab. Ihre Nachfolgerin ist die Altenpflegerin Monika Kaut. S. Erna bleibt vorerst in Roth und betreut noch zwei Jahre lang die Angehörigenaktion, bis sie Roth endgültig verlässt. Damit ist mit S. Gertraud Schuster vom Blauen Kreuz nur noch eine Diakonisse in der Stadt.

Pflegende können sich nur erholen, wenn in dieser Zeit die Gepflegten gut untergebracht sind – das Ergebnis dieses Gedankens ist ein Kurzzeitpflegeheim. Eine Tagesstätte findet nicht genug Resonanz und wird wieder beendet.

Die gesellschaftlichen Hilfsangebote verändern sich rasant. Überall wird vor allem die nicht stationäre Hilfe in den Vordergrund gerückt: in der Jugendhilfe ebenso wie in der Psychiatrie aber am deutlichsten und am meisten für die Bevölkerung sichtbar wird dies in der Altenhilfe. Essen auf Rädern, für Roth ökumenisch von Schwabach aus unter der Federführung der Diakonie angeboten, wird ein Renner und verzeichnet Jahr für Jahr rasante Steigerungsraten. Die fachliche Pflege wird durch die hauswirtschaftliche Versorgung erweitert, somit lässt sich auch ein alleinstehender Mensch in Kombination der drei Dienste lange im eigenen Haushalt versorgen. Das war in den Siebziger Jahren noch undenkbar, er musste als Rüstiger in ein Altenheim. Parallel zum Ausbau ambulanter Altenhilfe steigt das Eintrittsalter der neuen Heimbewohner auf über 80. Es darf nicht verschwiegen werden, dass damit auch die Belastungen für das Personal in den Heimen steigen, so wie die Belastungen für die Pflege der Kranken in den Kliniken steigen, wenn die Liegezeiten verkürzt werden, weil die Menschen auch durch die Diakoniestation zuhause versorgt werden können und ihre Verbände bekommen.

Der Diakonieverein nimmt auch wieder andere Gruppen in den Blick. Schon die Diakonissen hatten ja mehr als Kranken- und Altenpflege getan, sie gründeten Nähkreise und arbeiteten mit jungen Frauen. So nimmt nun auch der Diakonieverein wieder die Jugend in den Blick: ein Kinderhort auf der Kupferplatte und ein Kindergarten in Eckersmühlen entstehen, eine Heilpädagogische Tagesstätte nimmt sich geschädigter Kinder an.

In der Altenhilfe kommt eine besondere Gruppe Menschen in den Blick: sie wollen vorsorgen für schlechtere Zeiten, sie möchten die zu große Wohnung aufgeben, weil die Kinder ausgezogen sind, sie wissen, dass die jetzige Wohnung bei körperlichen Beeinträchtigungen ungeeignet ist und alles beschwerlich wird. Einfach ein neue Wohnung suchen ist nicht die Lösung. Man weiß nicht, was kommt, es könnte einen der Partner auch schlimmer treffen und er könnte stationäre Pflege brauchen. So entsteht durch Hans Roser das Konzept der Seniorenhöfe: ein Teil altengerechter Wohnungen mit barrierefreiem Zugang, einem kulturellen Angebot und günstig geschnittenen Wohnungen, nicht zu groß und auch innen behindertengerecht geplant mit Platz für einen Rollstuhl oder Rollator, mit geeigneter Einrichtung im Bad und dergleichen mehr. Daneben, in räumlicher Verbundenheit und unter Dach zu erreichen das Angebot stationärer Hilfe. Wer aus der Seniorenwohnung in stationäre Pflege wechseln muss, bleibt im gleichen Haus, kennt sich schon aus und kann leicht von Angehörigen und Nachbarn besucht werden. Der erste wird in Roth als Erweiterung des Pflgeheimes in der Gartenstraße errichtet, weil die Wohnungen in der Hilpoltsteiner Straße baulich angegliedert werden, weitere entsthen in Büchenbach und Pleinfeld, in Bechhofen und Neunkirchen am Sand.

Damit nimmt der Diakonieverein eine andere Dimension an: er ist nunmehr überregionaler Anbieter von Diensten in Gegenden, in denen er nicht verwurzelt ist. Das Management wird neu strukturiert. Die Mitglieder lesen, dass ihr Verein jetzt eine eigene Wohnbaugesellschaft unterhält, auch auswärts weitere Schulen betreibt, eine Diakonie-Consulting, ein Institut für Fort- und Weiterbildung in Gunzenhausen eröffnet hat. Manchem ist schwindlig geworden ob der vielen neuen Nachrichten.

Pfarrer Hans Roser war wieder erkrankt und musste 1987 das Pfarramt aufgeben. Eine Satzungsänderung hatte rechtzeitig den Vorsitz im Diakonieverein von der Führung des Pfarramts abgekoppelt, so blieb er ihm Ehrenamt Vorsitzender, der 1. Pfarrer war nur noch einfaches Vorstandsmitglied. Rosers 65. Geburtstag 1996 war kein Grund, etwas zu verändern. Im Jahr darauf konzentrierte er die Verwaltung in der Münchener Straße in einem Neubaukomplex, in dem die Verwaltung mit ihren verschiedenen Zweigen, die Diakoniestation und Schulräume unterkamen. Er selbst wohnte im Dachgeschoß darüber und wer gleich um 8 Uhr früh die Geschäftsstelle anrief, konnte immer wieder mal noch die Nachtschaltung des Telefons in die Wohnung erwischen.

Aber es gab auch andere Nachrichten: Die Mietwohnungen in der Hilpoltsteiner Straße wurden in Eigentumswohnungen umgewandelt. 1994 fragt die Zeitung “Hat Diakonie Auflagen mißachtet?”. Hans Roser muss sich vorwerfen lassen, er sei mit Steuergeldern fahrlässig umgegangen. Es kommt zu einer Zuschussrückzahlung Mitte 1995. Zwei Jahre später gerät er in die Schlagzeilen wegen der Baumaßnahme in Pleinfeld. Der Diakonieverein hat durch seine Wohnbaugesellschaft einen Frankfurter Generalunternehmer beauftragt, der hat eine italienische Firma als Subunternehmer eingesetzt und diese hat einheimische Handwerker engagiert, aber nicht ausreichend und rechtzeitig bezahlt. Von Billigarbeitern wird geschrieben, die einheimische Arbeitsplätze gefährden. Die Handwerker streiten sich mit dem Subunternehmer, der Bauherr “soll den Handwerkern helfen”, Politiker fordern den Landesverband des Diakonischen Werkes zum Handeln auf. Gleichzeitig hatte die Landeskirche mit ihrer “Aktion 1 + 1 Mit Arbeitslosen teilen” versucht, die gesellschaftliche Sensibilität für das Schicksal arbeitsloser Menschen zu stärken und konkrete Hilfen zu organisieren. Da machen sich Meldungen schlecht, dass ein Pfarrer mit einem kirchlichen Verein als Bauherr auftritt wie ein x-beliebiger Baulöwe.

Die negativen Schlagzeilen enden damit nicht. Im Oktober 1999 muss Hans Roser gegenüber der heimischen Zeitung einräumen, dass seine Rechnung “nicht ganz aufgeht”. Der Verkauf der Wohneinheiten war zu gering. Schon da wird er von manchen als “Reizfigur” bezeichnet, wie der Chefredakteur bemerkt. Dass der Landrat gleichzeitig davon spricht, er traue Roser durchaus zu “sein Lebenswerk in die richtigen Bahnen” zu lenken, klingt schon sehr nach Abschied. Der kommt dann auch bald. Im März 2000 meldet das Sonntagsblatt Vollzug: “Roser muss Lebenswerk komplett abgeben”. Gespräche wurden mit den Johannes Seniorendiensten geführt, die ihre Wurzeln in Bonn haben, zum Zug kam dann das Diakoniewerk Neuendettelsau und damit wieder eine vertraute Institution. Von 1899 bis 1997 entsandte das Mutterhaus seine Diakonissen hierher, nunmehr marschieren Geschäftsführer und Controller an. Die Einrichtungen werden auf Herz und Nieren geprüft. Unter den Mitarbeitern des Diakoniewerks macht sich die Sorge breit, die schlechte finanzielle Situation des Diakonievereins könne auch die Neuendettelsauer Arbeit beeinträchtigen. Das wird durch eine eigenständige gemeinnützige GmbH vermieden: die Diakonischen Dienste Neuendettelsau nehmen die Einrichtungen des Diakonievereins auf. Ein Aufsichtsrat wird benannt, die Rother Delegierten haben dabei keine Mehrheit. Hans Roser gibt den Vorsitz auf, sein Nachfolger als 1. Pfarrer in Roth, Peter Goertz, wird auch sein Nachfolger im Vorsitz, obwohl es im Oktober 1999 noch hieß, Roser werde zwar die Geschäftsführung abgeben, aber “in seiner Funktion als Vereinsvorsitzender … weiter für den Evangelischen Diakonieverein wirken.”

Im Januar 2000 wird dann die drohende Zahlungsunfähigkeit durch einen Bericht der Rechnungsprüfung vor der Mitgliederversammlung öffentlich. Kein Eigenkapital und ein Defizit aus 3 Jahren, das an die 5 Millionen DM hinreicht, da ist die Luft zu Ende. Das Sonntagsblatt notiert dagegen, Roser habe “die Existenz eines Millionendefizits bestritten und von einer 'Fusion aus fachlichen Gründen' gesprochen.

Die Verwaltung zieht von der Münchener Straße nach Neuendettelsau, es kommt zu den in dieser Lage üblichen Kündigungen und dem Abbau von Arbeitsplätzen, hatte der Prüfer doch auch die zu hohen Verwaltungskosten gerügt ebenso wie das mangelhafte interne Kontrollsystem. In den letzten Jahren “muss die Bodenhaftung verloren gegangen sein” meint der Kommentator der Heimatzeitung beim Rückblick. Das Ergebnis der Operation: die inhaltliche Arbeit wird weitergeführt, die fachlich geprägten Arbeitsplätze bleiben erhalten. Die Menschen profitieren weiterhin von den Ideen, die Hans Roser gehabt hat und in die Tat umsetzte.

Der Preis der Nachbarschaftshilfe: nur die Übernahme der Schulden, dem neuen Vorstand bleibt nicht einmal eine aktuelle Mitgliederkartei. Wenigstens kann er Ende 2000 zurückblicken: “Schulden nun endgültig los”. Der Verein will sich als Förderverein neu aufstellen, er verteilt seine Mitgliedsbeiträge nach Einzelbeschluss an verschiedene besondere Projekte in den ehemals Rother Einrichtungen, unterstützt die Hospizbewegung und sucht ansonsten nach neuen Aufgaben.

2005 kommt dann die ambulante Krankenpflege in die eigene Trägerschaft zurück, der Verein wird aber gleichzeitig Gesellschafter in der Zentralen Diakoniestation in Schwabach zusammen mit dem Diakonischen Werk und einigen anderen Diakonievereinen. Allein ist eine Diakoniestation nicht mehr zu führen. Die hier notwendigen Zuschüsse zum Betrieb und für besondere Anschaffungen kosten all seine Energie. 2010 wird deutlich, dass auch diese Struktur einer eigenständigen Gesellschaft für ambulante Pflege einer Überprüfung bedarf. Der Verein verzeichnet noch rund 700 Mitglieder.

Mehr denn je wird deutlich, dass Diakonie in Roth ihre Mitte im Diakonieverein hat, aber immer auch andere Träger in der Stadt und für die Menschen hier diakonisch aktiv waren und sind:

1982 hat das Diakonische Werk Schwabach in Roth eine Suchtberatungsstelle eröffnet, die 2000 in die ehemaligen Räumen des Diakonievereins zieht. Vom Diakonischen Werk sind dort auch die ökumenische Erziehungsberatungsstelle und die Sozialpädagogische Familienhilfe in Roth angesiedelt. Das Werk, dem seit seiner Gründung 1970 auch die Kirchengemeinde Roth als Mitglied angehört, firmiert seit einiger Zeit unter dem Etikett “Diakonie Roth Schwabach”. Die örtlich nicht gebundenen Angebote wie Essen auf Rädern, das vom Diakonischen Werk im Rahmen einer ökumenischen Arbeitsgemeinschaft aufgebaut wurde und jetzt von der Johanniter-Unfallhilfe geführt wird, liefert vom ersten Tag 1976 an nach Roth.

Das Blaue Kreuz kümmert sich seit über 80 Jahren um Suchtkranke, seit 2006 mit einer freien Mitarbeiterin. 2010 ändert auch das Blaue Kreuz seine bisherigen Strukturen und organisert sich landkreisweit neu unter Einbeziehung des Schwabacher Ortsvereins.

Andere Träger haben ein Standbein in Roth gegründet: die Johanniter Unfallhilfe macht viel Jugendarbeit hier, das Christliche Jugenddorfwerk kümmert sich um benachteiligte Jugendliche, das Augustinum hat seinen festen Platz eingenommen, ein eigenständiger Betreuungsverein arbeitet mit Menschen die sich wegen Krankheit oder Behinderung nicht mehr selbst helfen können. Im diakonischen Bereich, der innerhalb der Kirchengemeinde organisiert ist, wirken die Kindergärten und wird die Erweiterung auf Kleinkinder durch eine Krippe diskutiert.

In der Diakoniestation Georgensgmünd und beim Blauen Kreuz Schwabach quittierten die Diakonissen im Jahr 2003 die Schwestern ihren Dienst. 2006 im Herbst ist es dann soweit: S. Gertraud Schuster vom Blauen Kreuz Roth geht in den Feierabend. Damit arbeitet in der Stadt keine Diakonisse mehr. 107 Jahre waren ihre Hauben im Stadtbild präsent und in der Hilfe für Kranke und Schwache unverzichtbar. Wer heute eine Diakonisse in Roth sieht, weiß, dass sie entweder hier ihren Ruhestand verbringt oder nur einen Besuch macht. Eine ära ist zu Ende.

Schlusswort

Diakonie in Roth gibt es seit Anbruch der Neuzeit nach der napoleonischen ära. Ob als Wohltätigkeitsverein, bei der Auswandererfürsorge, ob in den Familien oder in Heimen, vier Dinge zeichnen Diakonie immer aus und werden dies hoffentlich auch weiterhin tun:

Diakonie hat geistliche Wurzeln in der biblischen Botschaft.

Diese spricht Menschen an, die bereit sind, ihre Kraft einzubringen. Manche tun dies mit ihrem Geld oder mit Sachspenden, manche mit ehrenamtlicher Zeit, andere mit ihrem Beruf und ihrer ganzen Existenz

Diakonie ist Teil der Gesellschaft.

Ein Land ohne Frauenwahlrecht bringt Diakonievereine hervor, in denen Frauen nicht in den Vorstand wählbar sind. Ein Land mit hohen Beitragszahlungen an die Kassen ermöglicht die Finanzierung der Diakoniestation durch gesetzliche Zahlungen, gleichzeitig gehen die Spenden für die Pflege zurück.

Diakonie ist aktuell.

Aufgaben sind immer die Nöte der Gegenwart. Ein Land mit katastophalen hygienischen Zuständen und hoher Kindersterblichkeit wie im 19. Jahrhundert braucht eine andere Diakonie als ein Land mit hohem Anteil alter und gebrechlicher Menschen. Deshalb ist Diakonie ständige Veränderung.

Diakonie ist zeitlos.

Sie hat ihren Auftrag nicht von einem Verein, nicht von einem Gesetzgeber, nicht von einem Bürgermeister oder Pfarrer. Sie hat ihren Auftrag von ihrem Herrn und solange die Erde steht, wird dieser Auftrag nicht aufhören.

Gerhard Wendler, 2011