Der Traum vom Inari – Vorher

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Wir wollten mal auf Großfahrt geh’n, bis an das End der Welt das haben wir als Kinder bei den Pfadfindern schon gesungen und auch ein bisschen geträumt. Aber wer kann das schon als Schüler und auch mit der Freiheit, die man den Studenten nachsagt, war es nicht so weit her. Drei Wochen per Anhalter in Schweden und Dänemark war das Höchste. Dann bald verheiratet und mit beruflichen Pflichten, das Haus, die Kinder: 5 Wochen Urlaub für die 4 Wochen in Afrika waren das Maximum in den 37 Jahren Beruf. Als Betreuer waren zwei Wochen in Brasilien, also 10 Tage Tarifurlaub, die Obergrenze, weil es mit dem Vertretungsdienst zu schwierig war. Ich darf froh sein, dass kein Abbruch eines Urlaubs erforderlich gewesen ist.

1  erste Gedanken

Aber der Traum ist geblieben! Dann kam 2006 eine Ansichtskarte: Besonders schön ist es auf der Strecke von Karasjok nach Inari über Angeli. Es war eine Schotter (Erd-) Straße, die auch als Radweg ausgezeichnet war. Sie hätte auch Dir gefallen! Nur die Anreise ist zu lang. So kommt sie für Dich nicht infrage. Es war mein langjähriger Weggefährte Theo Merklein, der mit seiner Frau Renate mit dem Wohnmobil in Norwegen und Schweden unterwegs war. Wir sind uns 1965 das erste Mal begegnet: er war Vorsitzender der unterfränkischen Pfadfinder, ich mit 12 Jahren das erste Mal auf einem großen Zeltlager im Steigerwald. 15 Jahre später waren wir Kollegen: er als Hausvater im Auhof in Hilpoltstein, ich als Geschäftsführer der Diakonie im Dekanat Schwabach. Bis zu seinem Ruhestand haben wir gut zusammen gearbeitet und auch danach den Kontakt gehalten: jeder schreibt aus dem Urlaub eine Karte. Die Gemeinsamkeiten in Diakonie und Pfadfinderei verbinden doppelt.

Aber mit 53 Jahren, die Kinder noch im Studium, da bleibt das dann natürlich ein Traum und auch, wenn ein anderer Freund gesagt hat ICH hätte Dir das nicht geschrieben, war höchstens mal eine grobe Planung im Kopf: In Kolding in Dänemark war ich schon mit dem Rad, ebenso in Swinemünde in Polen. Vielleicht mal in 2 Wochen durch Dänemark und Schweden, im Jahr danach dann in Finnland. Oder auf der anderen Seite an der Ostsee entlang nach Tallinn und Helsinki, wieder im Jahr darauf weiter - halbfertige Gedanken, mehr nicht.

Dann kam das Jahr 2011 und ein vielfältige persönliche Krise. Am Ende dieser Phase standen eine Reihe von Entscheidungen: keine Wiederwahl mehr in Kirchenvorstand und Dekanatsausschuss, Ende des Berufslebens, wenn Anna berufstätig ist und dann - was tun mit der neuen Freiheit? Zum Inari! Mit der neuen Freiheit aber auf eine Weise, die einem Angestellten mit Tarifurlaub nicht möglich ist: ganz rauf und ganz wieder runter. Eine richtig lange Meile!

Schritt für Schritt suche ich mir die Informationen zusammen: Das Internet ist natürlich das Wichtigste, ich melde mich im Radforum an, stöbere auf den verschiedensten Seiten der Touristiker und von privaten Berichten. Beim ADFC gibt es im Winter ein Vortragsprogramm von aktiven Radlern. Da gibt es viele Tipps und Anregungen, u.a. verdanke ich einem solchen Vortrag den Hinweis auf die Aland- Inseln. Herkömmliche Literatur ist natürlich weiterhin wichtig. Die Reiseführer der Stadtbücherei lese ich nicht nur, ich exzerpiere sie in eine Textdatei, weil ich natürlich nicht soviele Bücher mitnehmen kann. Der Sammeltrieb konzentriert sich jetzt auf dieses Projekt, etwa bei der Radmesse in Fürth 2012 und wenn mein Sohn Philipp dienstlich nach Tallinn muss, bringt er natürlich einen Stadtplan mit.

2  Die Strecke

Nach und nach baue ich einen Plan. Ende April hat Philipp Geburtstag, da ergibt sich sein Wohnort Passau als logischen Anfang. Von dort aus weiter. Erst mal Donau abwärts, dann abbiegen nach Tschechien. Brünn in Mähren ist ein Ziel, die beiden Rother Partnerstädte Opava und, schon in Polen, Ratibor. Dann an die Weichsel: Auschwitz, Krakau mit einem Abstecher nach Wadowice, den Geburtsort von Karol Woityla bzw. Papst Johannes Paul II. Anschließend den Fluss hinunter nach Warschau und nordöstlich zur Landgrenze zwischen Litauen und Polen bei Suwalki. Durch die drei baltischen Ländern im Osten bleibend nach Tallinn. Mit der Fähre nach Helsinki, im Osten von Karelien parallel zur russischen Grenze zum Polarkreis und zum Inarisee. Rückwärts dann an die Ostsee. Die schwedische Seite des bottnischen Meerbusens kenne ich schon von der Reise 1972, diesmal bleibe ich auf der finnischen Seite und fahre mit der Fähre zu den Aland-Inseln. Danach dann Schweden mit den Teilzielen Schloss Gripsholm (Tuckolsky), Smaland (Astrid Lindgren) und Ystad (Wallander). Dann nach Dänemark mit der Welthauptstadt der Radler, Kopenhagen und wieder heim. Es kommt noch ein Schlenkerer über die Dänische Südsee dazu, der mich nach Flenbsurg bringt. Auf dem Heimweg an der Ostsee entlang mit einem Abstecher nach Ludwigsburg bei Eckernförde. Dort war mein größtes Pfadfingerlager 1968. Danach bis Lübeck, nach Lauenburg an der Elbe, den Elbe-Seiten-Kanal runter, den Harz westlich umgehen, über Eisenach ins Werratal. Von Meiningen aus dann nach Bad Neustadt zu den Eltern und Schweinfurt zum Patenkind. Von dort über Erlangen (da wohnt Theo Merklein) wieder nach Roth. Das Gerüst steht. Ich schreibe alles in eine Kalkulationstabelle und stelle am Ende fest: nach dieser Planung 114 Fahrttage, 24 Tage Aufenthalt, macht zusammen 138 Reisetage, davon 119 im Ausland. Bei 8350 km Gesamtstecke ergeben sich rund 73 km pro Fahrttag. Soweit die Planung. Man weiß ja - der Mensch denkt, ...

Interessant dabei: ich bewege mich ausschließlich im Bereich der Europäischen Union, ich komme durch 10 Länder und habe 9 Sprachen (+ österreichisch), aber nur 6 Währungen: in 5 Ländern kann ich mit Euro zahlen (Deutschland, Österreich, Lettland, Estland, Finnland).

3  Die Ausrüstung

3.1  Das Rad

Das ist natürlich das Wichtigste. Seit 2010 fahre ich ein Simplon Pro Faith mit 27 Gängen, davon 2 Untersetzungen, einem besonders stabilem Gepäckträger hinten und einem Vorderradgepäckträger mit Zusatzständer. Es hat sich schon bei mehr als 5000 Kilometer bewährt, ich fühle mich wohl und sicher. Durch die Packtaschen vorn ist das Gewicht ausgeglichener auf beiden Laufrädern und es läuft ruhig. 64,05 km/h den Kreuzberg runter hätte ich mich sonst nicht getraut.

3.2  Das Zelt

Ein Pasch PU für eine Person habe ich mir zugelegt. Dabei habe ich besonders darauf geachtet, dass ich es auch allein aufbauen kann, das geht mit dem Hauszelt, das ich seit 1986 habe, nicht so einfach. Inzwischen habe ich den Aufbau flott im Griff. Es ist schmal, die Packtaschen bleiben nachts am Rad, die Gewichtsersparnis und das Packmaß sind natürlich auch was wert. Das Gepäck wird mit einer Regenhülle geschützt, nur die Wäsche für morgen früh und die Lenkertasche kommen ins Zelt. Die Taschen werden mit einem langen Kabel ans Rad angekettet.

3.3  Der Kocher

Von jeher habe ich einen Campinggaz- Kocher in einfacher Ausführung. Gas unterwegs ist eigentlich praktisch und komfortabel. Es stellt sich bei dieser Reise aber die Frage der Versorgungssicherheit mit neuen Kartuschen. Den gesamten möglichen Verbrauch mitzunehmen verbietet sich angesichts der notwendigen Menge. Ich weiß ja nicht, wie oft ich den Kocher einsetzen muss und dann an der abgelegensten Stelle kein Gas mehr haben? Keine schöne Aussicht. Also entscheide ich mich für einen Kocher, für den ich überall Nachschub bekomme, notfalls an jeder Tankstelle: einen Wisperlite International Benzinkocher. Man soll zwar nicht mit Tankstellenbenzin kochen, weil da viele Zusätze drin sind, aber für den Notfall geht es bis zum nächsten Nachschub mit Reinbenzin.

3.4  Die Packtaschen

Es gibt Zeiten, in denen gibt es keine Kompromisse. Deshalb habe ich konsequent auf ein Programm gesetzt, wasserdichte Taschen von Ortlieb, alle in gelb. Als Sicherheitsfarbe ist es unschlagbar im Verkehr. Von der Sorte also 6 Stück, die alle ihre Namen haben: Die Lenkertasche für Papiere und Griffbereites, vorne rechts Regen, Panne, Erste Hilfe und links Küche und Speisekammer. Hinten rechts Wäsche und Übernachtung und links dann Kleidung. An den Gepäckträgertaschen jeweils auch Außentaschen, vorne außerdem noch zwei Trinkflaschen. Das ganze wird mit einer quer liegenden Obertasche abgerundet, in der das Zelt transportiert wird. Im Katalog heißt das Ding Rackpack, aber der Name gefällt mir nicht. In den Flaschenhaltern im Rahmen verstaue ich die Benzinflaschen, da sind sie am sichersten.

3.5  Die Kleidung

Da denkt man erst mal an die eigentlichen Radklamotten. So richtig begeistert bin ich nicht von den Typen, die verkleidet in bunten Hemden und in Hosen, die an eine Wurstpelle erinnern, durch die Landschaft brettern. Lange habe ich keine extra Radkleidung gekauft, erst in den letzten Jahren zwei Hosen mit Polstern (die aber zivil ausschauen) und einige Hemden. Mein Prunkstück ist ein Hemd in den ADFC-Farben, mit Logo und meinem eingedruckten Namen. An anderen Kleidungsstücken setze ich auf Vorhandenes und an Oberkleidung habe ich mir zwei Garnituren zugelegt, eine dunklere mit Jacke und eine helle, die mit Weste. Regenkleidung fürs Rad ist selbstverständlich einschl. Gamaschen.

3.6  Die Versicherungen

Auslands- Krankenversicherung zusätzlich zur normalen Krankenkasse ist sowieso klar. Nachdem die Haftpflichtversicherung und die Rechtsschutzversicherung weltweit gelten, braucht es da nichts extra. Ich entscheide mich noch für eine Unfallversicherung, um die Kosten eines Rücktransports abzudecken. Ganz wichtig auch: die Hausratversicherung muss Bescheid wissen, weil eine mehr als 60 Tage leerstehende Wohnung ein erhöhtes Risiko darstellt = eine höhere Prämie für diese Zeit.

3.7  Diverses und Kleinigkeiten

Die Packliste besteht am Ende fast 250 Positionen, sortierbar nach Art und Platz. Der Bogen spannt sich vom Pfefferspray am Lenkerrohr bis zum Frühstücksbrettchen für die Brotzeit und zum Abgießen des Nudelwasssers. Im Laufe der Monate in der Vorbereitungszeit kommt man zum Glück auf alle möglichen Details: eine Ersatzbrille muss beschafft werden, eine Sonnenbrille brauche ich auch.

4  Die Vorbereitung

Als erstes denkt man an die körperliche Fitness, das wird aber allgemein überschätzt. Wolfgang Reiche vom ADFC hat über seine Weltreise von 1981 bis 1985 ein Büchlein veröffentlicht, in dem er seine Erfahrungen in technischer Hinsicht schildert. Da wird klar deutlich, dass die Reise selbst ein Training darstellt und die Motivation viel wichtiger ist. Ich habe mein Wunschgewicht und fast 6 Jahre vor Reiseantritt das Rauchen beendet, das müsste reichen.

Das Kochen wird ein großes Thema werden, nicht nur was und wo, sondern auch wie. Die Handhabung des Kochers will geübt sein, das habe ich auf mehreren Kurztouren ausprobiert und die Rezepte in meinem Alltag darauf getestet, ob ich mit der geplanten Speisekammer unterwegs auskommen kann: Nudeln, Mehl, Eier (in einer festen Schachtel verstaut), Milchpulver, Gemüseboullion, Pfeffer, Salz, Zimt, dazu Brot, Brotbelag und Obst. Natürlich werde ich auch in Restaurants gehen, vielleicht sogar mehr als selber kochen.

Bei der Körperpflege ist das gewichtigste Thema das Rasieren. Das ist wörtlich zu verstehen: ein Elektrorasierer ist verhältnismäßig schwer. Also Umsteigen auf Nassrasur. Das muss erst mal geübt werden, ich glaube, ich habe mich 1970 auf Dauer das letzte Mal nass rasiert, von einigen kurzen Phasen bei Wanderungen abgesehen. Das geht aber nur, wenn ich ohne Rasierpinsel auskomme. Das Ergebnis war erst nicht so berauschend, aber ein Bekannter hat mir einen Tipp mit einem neuen Modell gegeben, das mir spontan zugesagt hat. Seither wird der Elektrorasierer nur noch für die Bartpflege gebraucht, aber der wird vor der Reise noch wegfallen.

In diese Nähe gehört auch die Reinigung der Kleidung: Das geht auch mit unparfümierter Kernseife. Damit geht überhaupt alles!

Gesundheit und medizinische Fragen werden eine Rolle spielen. Ich muss täglich ein Dauermedikament nehmen, da muss für Vorrat gesorgt werden, weil ich normalerweise nur 100 Tabletten auf ein Rezept bekomme. Dazu brauche ich natürlich Medikamente für und gegen alles mögliche. Bei meinem Hausarzt und meiner Stamm- Apotheke bin ich in guten Händen. Mein Hausarzt prüft auch meine Impfungen. Was mich beschäftigt: ich muss zweimal in dieser Zeit zum Haare Schneiden. Das wird spannend, ich habe es nämlich nicht so gern, wenn fremde Menschen mir am Kopf rumfummeln, deshalb habe ich meine Friseusin auch schon so lange.

Ich schreibe vielen Menschen zum Geburtstag, im Gegenzug niemandem zu Weihnachten. Wie mache ich das? Ich weiß ja nicht, wie lange die Post dauert. Ich werde den Geburtstagskindern an ihrem Geburtstag schreiben und sie bitten, die Ankunft der Karte den Kindern zu melden, die das dann auf der Homepage veröffentlichen. In diese Liste trage ich dann bis zum Endspiel auch alle Termine ein, bei denen die deutschen Fußballer ein Spiel haben könnten, je nachdem ob sie Gruppenerster oder -zweiter werden.

Wir planen eine Familienhomepage wendler.de, auf der Philipp veröffentlicht, wann ich mich gemeldet habe, wo ich bin und wie es mir geht.

5  Partner

Allein? Was zunächst eine Selbstverständlichkeit war, hat sich im Laufe der Monate dann anders entwickelt. Im Forum und beim ADFC sind Menschen aufgetaucht, die ähnliches vorhaben. Nach einigen Überlegungen und Planänderungen, Besprechungen und gegenseitigen Besuchen ergeben sich Kontakte zu drei Menschen, die ich unterwegs treffen werde und mit denen ich ein Stück gemeinsamer Strecke fahren werde. Wir werden unabhängig voneinander bleiben, jeder ist autark für seine Reise und nicht gebunden. Es steckt ja in dieser Planung auch eine Menge Unsicherheit. Da kann schnell eine halbe Woche Verspätung entstehen und dann sind alle Koordinationen wertlos. Wir werden Kontakt über Handy halten.

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